Enthüllungen in der Ukraine "Korruption ist ein Feind wie Russland"
Ein Korruptionsfall erschüttert die ukrainische Regierung. Er berührt ausgerechnet das Verteidigungsministerium - mitten im Krieg. Der Investigativjournalist Nikolov erklärt im Interview, was an den Recherchen so brisant ist.
tagesschau.de: Was ist das Besondere an Ihren Recherchen?
Nikolov: Ich habe einen Vertrag des Verteidigungsministeriums über die Lieferung von Lebensmitteln im Jahr 2023 an Militäreinheiten, die weit von der Frontlinie entfernt stationiert sind, in die Hände bekommen. Einige Preise in diesem Vertrag für gängige Lebensmittel waren zwei- bis dreimal so hoch wie die Preise in den Geschäften.
Wir haben diesen Vertrag veröffentlicht, da wir davon ausgingen, dass bald Zahlungen für die gelieferten Waren im neuen Jahr erfolgen werden. Und um den Diebstahl von Geldern zu verhindern. Damit die Führung des Verteidigungsministeriums die faulen Preise in diesem Vertrag korrigieren konnte.
Wir haben unsere Informationen an die Führung des Präsidentenbüros, an die oberste Führung des Staates kommuniziert. Auch den Strafverfolgungsbehörden, damit gegen die Korruption vorgegangen werden kann. Wir wollten Korruption verhindern. Die Korruption, die der gleiche Feind der Ukraine wie Russland ist, sollte überwunden werden.
Yuri Nikolov ist ein ukrainischer Investigativjournalist. Er hat den mutmaßlichen Korruptionsfall im Verteidigungsministerium öffentlich gemacht.
"Ein verführerischer Faktor"
tagesschau.de: Früher waren alle Informationen im Netz öffentlich zugänglich. Wie werden solche Informationen über Ausschreibungen und Käufe jetzt bekannt?
Nikolov: In der Zeit des Krieges werden viele Einkäufe aus dem Beschaffungssystem herausgenommen. Das ist zum Teil logisch, weil in den Verträgen des Verteidigungsministeriums die Adressen der Lagerhäuser oder die Mengen der benötigten Waren angegeben sind. Daraus lässt sich die Anzahl der Soldaten an einem bestimmten Ort berechnen. Dies ist natürlich ein Militärgeheimnis und darf nicht veröffentlicht werden.
Aber leider haben sie gleichzeitig solche Informationen wie den Preis pro Einheit der gekauften Waren versteckt, was kein militärisches Geheimnis ist. Der Preis für Kartoffeln oder Eier, zu dem sie gekauft werden.
Für einige ist die Tatsache, dass die Informationen nicht mehr veröffentlicht werden müssen, ein verführerischer Faktor geworden. Deshalb wollen wir, dass der Staat einfach wieder die Preise öffentlich einsehbar macht. Natürlich ohne militärische Geheimnisse zu verraten.
"Die wahre Bedrohung der nationalen Sicherheit"
tagesschau.de: Es wurde schon gesagt, dass die Veröffentlichung Ihrer Recherchen die nationale Sicherheit gefährdet. Was sagen Sie dazu?
Nikolov: Das hat das Verteidigungsministerium gesagt. Leider geht es ihnen nicht um die Aufarbeitung der Fälle, sondern darum herauszufinden, wie die Informationen ans Licht kamen. Aber die Korruption ist unser Feind. Es wird Geld gestohlen, mit dem wir auch Waffen kaufen könnten.
Es geht nicht darum, dass ich darüber informiert habe. Aber wenn sich die Zahlungen des Verteidigungsministeriums wirklich auf diese riesigen Preise belaufen, könnte der Staat meinen Schätzungen nach etwa 150 Millionen Euro verlieren. Und das nicht für irgendeinen edlen Zweck, nicht für den Kauf von Drohnen, kugelsicheren Westen oder Granaten und so weiter. Für diese Marge wird sich jemand einen Mercedes kaufen. Das ist falsch. Das ist die wahre Bedrohung für die nationale Sicherheit, denke ich.
"Westlicher Partner verstehen, was hier passiert"
tagesschau.de: Haben sie keine Sorge, dass solche Veröffentlichungen über Korruption das Vertrauen der westlichen Partner in die Ukraine untergraben können?
Nikolov: Das Vertrauen der westlichen Partner wird untergraben, wenn wir solche Plünderungen zulassen. Die westlichen Partner haben eine Menge Informationen, sie verstehen ganz genau, was hier passiert. Wenn Du der Europäischen Union beitreten willst - stiehl nicht! So einfach ist das.
"Korruption in den Köpfen - das müssen wir ändern"
tagesschau.de: Solche Diskussionen in der Gesellschaft - sind sie in Zeiten des Kriegs notwendig?
Nikolov: Wir leben in der Ukraine schon seit Jahrzehnten unter diesen korrupten russischen "Werten". Die Menschen in Deutschland wissen sehr gut, wie Gazprom gehandelt hat, wie bestimmte Regierungsbeamte bestimmte Boni erhalten haben. Wie sie dem extrem korrupten Russland gegenüber loyal wurden, wie sie Interessen verteidigten.
Das Gleiche geschah in der Ukraine, und sogar in größerem Umfang. Und diese Korruption hat sich in vielen Köpfen festgesetzt. Leider. Das müssen wir ändern.
"Die Situation kann korrigiert werden"
tagesschau.de: Wie beurteilen Sie die Reaktion des Präsidenten auf Ihre Recherchen?
Nikolov: Ich bin sehr zufrieden mit der Reaktion des Oberbefehlshabers. Ich betone, dass bei diesem Vertrag das Geld noch nicht gestohlen wurde und die Zahlung noch nicht erfolgt ist. Die Situation kann korrigiert werden, und zwar ganz einfach: Ändern Sie die Vertragspreise. Um herauszufinden, wer sie dorthin gebracht hat, entledigen Sie sich der schlechten Spieler in Ihrem Team und gehen Sie zum Sieg!
Das Gespräch führten Susanne Petersohn und Victor Stepura