Krieg in der Ukraine Kämpfe verlagern sich nach Donezk
Nach dem ukrainischen Rückzug aus der Stadt Lyssytschansk hat sich der Schwerpunkt der Kämpfe ins benachbarte Donezker Gebiet verschoben. Die Stadt Slowjansk ist offenbar massiv bombardiert worden.
Die russischen Streitkräfte sind in der ukrainischen Donbass-Region weiter vorgerückt und haben dabei insbesondere die Stadt Slowjansk ins Visier genommen: Bürgermeister Wadym Liach meldete "massiven" russischen Beschuss in der ostukrainischen Stadt.
Der russische Angriff auf Slowjansk in der Provinz Donezk richtete sich laut Liach gegen den zentralen Markt der Stadt. "Slowjansk! Massives Bombardement der Stadt. Im Zentrum, im Norden. Alle in die Luftschutzkeller", schrieb er auf Facebook. Zwei Menschen wurden dabei nach Angaben des Gouverneurs von Donezk, Pawlo Kyrylenko, getötet, sieben weitere verletzt.
Die Stadt, die vor Beginn des Ukraine-Krieges 100.000 Einwohner zählte, steht bereits seit Tagen unter Raketenbeschuss. Bürgermeister Liach hatte Russland zuvor bereits vorgeworfen, bei den Angriffen auf die Stadt Streumunition eingesetzt zu haben. Streumunition ist durch internationale Verträge geächtet, die Moskau allerdings nicht unterzeichnet hat.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Slowjansk nächstes Ziel auf russischem Vormarsch
Slowjansk gilt als nächstes mögliches Ziel russischer Truppen auf ihrem Vormarsch im Donbass. Am Sonntag hatte Russland die Einnahme der nahegelegenen Stadt Lyssytschansk und damit der gesamten Donbass-Region Luhansk verkündet.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Kämpfe in der gesamten Region Donezk
Unterdessen erklärte die ukrainische Armee, mehrere Vorstöße russischer Truppen abgewehrt zu haben. So seien russische Einheiten nördlich von Slowjansk bei Dolyna zurückgeworfen worden, teilte der Generalstab in Kiew mit. Ebenso sei weiter das Wärmekraftwerk Wuhlehirsk umkämpft. Ein russischer Angriff südlich davon bei Nowoluhanske sei zurückgeschlagen worden. Ebenso seien Attacken an der Grenze zum verloren gegangenen Luhansker Gebiet bei Bilohoriwka und Werchnjokamjanske abgewehrt worden.
Etwas südlicher davon seien jedoch russische Einheiten bei Spirne mit massiver Artillerieunterstützung und Luftwaffeneinsatz weiter in Richtung der Stadt Siwersk vorgedrungen. Darüber hinaus berichtete der Generalstab über intensiven Artilleriebeschuss an weiten Teilen der Front in den Gebieten Charkiw, Donezk, Saporischschja, Cherson und Mykolajiw. Mehrfach seien auch Luftangriffe teils mit Hubschraubern geflogen worden.
Die russische Armee bombardierte nach eigenen Angaben auch zwei ukrainische Kommandozentralen in Donezk. Auch die Stadt Charkiw im Nordosten des Landes steht weiter unter russischem Beschuss. In den vergangenen 24 Stunden wurden dort nach Kreml-Angaben bei russischen Angriffen bis zu 150 ukrainische Soldaten getötet.
Luftalarm im ganzen Land
Erstmals seit fast einer Woche gab es wieder im ganzen Land - einschließlich der Hauptstadt Kiew - Luftalarm. Mehrere Raketen seien dabei in Mykolajiw in der Südukraine eingeschlagen. Raketenangriffe gab es auch im ostukrainischen Charkiw und Dnipro.
Wehrpflichtige dürfen Wohnort nicht mehr verlassen
Indes hat das ukrainische Verteidigungsministerium Männern im wehrpflichtigen Alter das Verlassen ihres Wohnorts untersagt. Der Generalstab der Armee bat auf Facebook, mit Verständnis auf diese Anordnung zu reagieren. Grundlage ist das Wehrpflichtgesetz von 1992. Für das Verlassen des gemeldeten Wohnorts benötigen Männer zwischen 18 und 60 Jahren nun eine Erlaubnis des zugehörigen Kreiswehrersatzamts. Kontrollen finden derzeit vor allem an den Grenzen zwischen den Regierungsbezirken und an Kontrollpunkten an Stadtgrenzen statt.
Unter dem Beitrag schrieben innerhalb kurzer Zeit Hunderte entrüstete Ukrainer Kommentare. Dem Ministerium wurde "Idiotie" vorgeworfen. Die Anordnung werde die Korruption bei den Kreiswehrersatzämtern fördern, hieß es etwa. Befürchtet wurde noch mehr wirtschaftliches Chaos, weil Fahrer für Züge, Busse und Lastwagen ausfallen könnten.
Viele Ukrainer leben gar nicht an ihrem Meldeort. Mit dem Beginn des russischen Einmarschs am 24. Februar flohen Zehntausende Wehrpflichtige in sicherere Gebiete im Westen des Landes. Das Verlassen der Ukraine wurde ihnen bereits mit Verhängung des Kriegsrechts vor rund viereinhalb Monaten untersagt. Der Grenzschutz greift dennoch regelmäßig Männer bei dem Versuch auf, illegal die Grenze in Richtung Republik Moldau oder benachbarter EU-Staaten zu überqueren. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte im Mai von rund 700.000 Ukrainern gesprochen, die bei Armee, Nationalgarde, Grenztruppen und Polizei das Land verteidigen.