Ukraine Korruptionsverdacht bis in die höchste Justiz
Korruption ist seit Langem ein Problem in der Ukraine - und sie reicht offenbar bis zum Obersten Gerichtshof. Dessen Vorsitzender Richter wurde seines Amtes enthoben. Doch er steht nicht als einziger unter Verdacht.
In Kiew sind die Richter am Obersten Gerichtshof zu einer Dringlichkeitssitzung zusammengekommen. Sie versichern, in vollem Umfang mit den ukrainischen Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten. Denn der Oberste Gerichtshof ist zum Schauplatz geworden im schwersten Korruptionsverdachtsfall, den es seit Langem in der Ukraine gegeben hat.
Im Zentrum des Verdachts: der Oberste Richter des Landes. 2,5 Millionen Euro Bestechungsgelder seien bei ihm gefunden worden, geben ukrainische Behörden an. In der Dringlichkeitssitzung wird er seines Amtes enthoben.
Ein aufsehenerregender Fall, meint Semen Krywonos, Direktor des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU): "Dieser Fall ist eine Antwort auf die Frage, welche Prioritäten die neue Spitze der Staatsanwaltschaft und des NABU setzen werden. Wir beweisen mit einem echten Fall, was für uns Priorität hat: Es handelt sich um Korruption auf höchstem Niveau, um kriminelle Organisationen auf höchster Machtebene."
Strafrechtliche Verfolgung von einst "Unantastbaren"
Und genau deshalb sorgt der Fall in der Ukraine für so viel Aufmerksamkeit. Noch seien die Ermittlungen nicht abgeschlossen, betonen die Behörden. Korruption sei im Justizsystem ein systematisches Problem, kritisieren Aktivisten.
Der Oberste Gerichtshof war vor wenigen Jahren erst reformiert worden. Die Reform galt damals vielen als wichtiger Schritt. Es wurden unter anderem neue Richter ernannt - doch die Überprüfung ihrer Integrität sei unzureichend gewesen, kritisiert die Antikorruptionsanwältin Tetiana Schewtschuk: "Ich würde diesen Fall aber nicht als Scheitern der Reform bezeichnen. Er zeigt nur, dass sich das System in Richtung Reinigung bewegt." Die Antikorruptionsbehörden lieferten tatsächlich gute Ergebnisse. "Sie haben begonnen, diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die vorher als unantastbar galten", so Schewtschuk.
Richter und Rechtsanwälte unter Verdacht
Der Verdacht besteht, dass auch in diesem Fall systematisch betrogen wurde. Die Ermittler sprechen gar von einer Verschwörung. Verdächtigt werden nach aktuellen Informationen mindestens zwei Richter und eine Gruppe von Rechtsanwälten. Der Vorwurf: Sie sollen zwischen Richtern und denjenigen vermittelt haben, die sich Gerichtsentscheide in ihrem Interesse erkaufen wollten, erklärt Oleksandr Klymenko, Leiter der Staatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung: "Und das galt nicht nur für den Obersten Gerichtshof, sondern für die meisten Gerichte in der Ukraine. Alle Tatsachen werden im Rahmen der vorgerichtlichen Untersuchung ausgewertet und überprüft."
Seit Jahren kämpft die Ukraine gegen ihr massives Korruptionsproblem. Daten von Transparency International zeigen einen positiven Trend. Aber auch, dass die Ukraine noch einen weiten Weg vor sich hat. Bei seiner Wahl 2019 versprach auch Präsident Wolodymyr Selenskyj die Korruption zu bekämpfen - und genießt bei vielen in der Bevölkerung Vertrauen in seine Absichten.
Strengere Prüfung von Richterkandidaten
"Ich bin sicher, dass Präsident Selenskyj es ernst damit meint, dass er die Korruption bekämpfen will", sagt Antikorruptionsanwältin Schewtschuk. Doch die Regierung und das Parlament unternehme nicht genug, um notwendige Gesetze zur Korruptionsbekämpfung zu erlassen.
"Was wir jetzt sehen, ist das Ergebnis jahrelanger systematischen Arbeit und systematischer Reformen", so Schewtschuk. Und diese Reformen müssten weitergeführt werden. Etwa 2500 Richterstellen sollen in der Ukraine in den kommenden Jahren neu besetzt werden, gibt die Anwältin an. Die Kandidaten sollen einer strengen Prüfung unterzogen werden.