Krieg gegen die Ukraine Russland greift verstärkt aus der Luft an
Russland verstärkt nach ukrainischer Darstellung die Angriffe aus der Luft: Meldungen über Luftschläge gab es aus mehreren Städten - auch im Westen des Landes. Zudem wächst die Sorge vor einem belarusischen Eingriff in den Krieg.
In der nun dritten Woche des Krieges hat Russland seine Angriffe in der Ukraine auf den Westen des Landes ausgeweitet. Vermehrt kam es zu Angriffen auf westliche Ortschaften. So teilte das russische Verteidigungsministerium mit, in der Nacht zum Freitag seien Luftwaffenstützpunkte in der westukrainischen Gebietshauptstadt Iwano-Frankiwsk und in Luzk im Nordwesten des Landes mit "Hochpräzisionswaffen" außer Gefecht gesetzt worden.
Doch auch aus anderen Landesteilen wurden Bombardierungen aus der Luft gemeldet. Der Katastrophenschutz in Dnipro berichtete von drei Luftangriffen, bei denen mindestens ein Mensch ums Leben gekommen sei. Wohngebiete in Charkiw wurden dem Gouverneur der Region zufolge an einem Tag 89 Mal bombardiert. Bürgermeister Ihor Terechow berichtete von 48 zerstörten Schulen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
In Isjum, südwestlich von Charkiw, mussten nach Angaben des regionalen Gouverneurs Oleh Synegubow aufgrund russischen Beschusses Versuche gestoppt werden, Menschen aus der Stadt zu bringen. "In Isjum gibt es weiterhin keinen Strom, keine Heizwärme, kein Wasser oder Telefonverbindungen", erklärt Synegubow.
Insgesamt läuft die Evakuierung von umkämpften und belagerten Städten nur schleppend. Nach Angaben der ukrainischen Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk wurden am Freitag rund 3800 Menschen in Sicherheit gebracht, während Hunderttausende Menschen weiterhin in von russischen Truppen eingekesselten Städten wie Isjum oder Mariupol festsitzen. Aus den nordwestlich von Kiew gelegenen Vororten Butscha, Hostomel, Worsel und dem Dorf Kosarowytschi nördlich der Hauptstadt hätten Einwohner über humanitäre Korridoren fliehen können, sagte Wereschtschuk.
USA: Ukrainische Luftabwehr sehr effektiv
Das nördliche Tschernihiw befindet sich laut der Menschenrechtsbeauftragten des ukrainischen Parlaments, Ljudmilla Denisowa, nach Luftangriffen am Rande einer humanitären Katastrophe. "Es gab keinen Strom, kein Wasser, die Gas- und Wärmeversorgung funktionieren nicht mehr", schrieb sie auf Telegram. Die Stromversorgung konnte zwar wiederhergestellt werden, die Reparatur von Wärmeleitungen würde aber einige Tage in Anspruch nehmen. Angaben beider Seiten sind nicht unabhängig überprüfbar.
Laut der US-Regierung funktioniert die ukrainische Luftabwehr gut. Ein großer Teil der ukrainischen Kampfflugzeuge ist demnach noch intakt. "Sie haben noch etwa 56 Kampfflugzeuge am Boden, das ist der große Teil ihrer Flotte", sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. Die Kampfjets würden aber nur fünf bis zehn Einsätze pro Tag fliegen - das ukrainische Militär setze eher auf Luftabwehr vom Boden aus. Das russische Militär fliege indessen mehr als 200 Einsätze pro Tag. Der Beamte betonte, dass die Luftverteidigung der Ukraine sehr "effektiv" und "kreativ" sei.
Bei den Luftangriffen zerstörten Russlands Streitkräfte nach eigenen Angaben 82 Militäranlagen. Darunter seien vier Kommando- und Kontrollzentren der ukrainischen Armee, sagte ein Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums laut der Nachrichtenagentur Interfax.
Dramatische Lage in Mariupol
Besonders dramatisch ist die Lage in Mariupol, wo Zivilisten seit Tagen ausharren müssen. Russland teilte laut Medienberichten mit, dass die Hafenstadt mittlerweile komplett eingeschlossen sei. "Alle Brücken und Zufahrten zur Stadt sind zerstört", sagte Generaloberst Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium laut der Agentur Interfax. Er behauptete, dass ukrainische "Nationalisten" die Hauptstraßen vermint hätten und wahllos das Feuer eröffnen würden. "Damit zwingen sie die Bevölkerung, in ihren Häusern zu bleiben." Der Stadtrat von Mariupol bezifferte die Zahl der getöteten Zivilisten mit 1582, UN-Statistiken weisen bisher rund 560 belegte Fälle getöteter Zivilisten aus.
Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj warf den russischen Truppen seinerseits vor, Zivilisten nicht aus der Stadt herauszulassen. In den vergangenen Tagen waren Versuche, Menschen über Fluchtkorridore aus der Stadt zu bringen, immer wieder gescheitert.
Russland beansprucht AKW Saporischschja offenbar für sich
Nördlich von Mariupol brachten prorussische Separatisten nach Militärangaben aus Moskau die Stadt Wolnowacha unter ihre Kontrolle. Sie war nach russischen Angaben seit dem 28. Februar eingekesselt. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gab es zunächst nicht. Auch diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Dem ukrainischen Energieversorger Energoatom zufolge beansprucht Russland nun das besetzte ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja. Den Mitarbeitern des Kraftwerks sei gesagt worden, dass es nun dem russischen Staatskonzern Rosatom gehöre, erklärt Energoatom. Russische Truppen nahmen das größte AKW Europas am 4. März ein. Die Reaktormannschaft betreibt das Kraftwerk seitdem weiter.
Bürgmeister entführt
In Melitopol, im Süden des Landes, entführten offenbar russische Soldaten den Bürgermeister der Stadt. Iwan Fedorow sei bei einem Besuch des Krisenzentrums von Melitopol von einer Gruppe von "zehn Besatzern" verschleppt worden, als er sich um Versorgungsfragen kümmern wollte, teilte das ukrainische Parlament auf Twitter mit. "Er weigerte sich, mit dem Feind zu kooperieren", hieß es in der Twitter-Nachricht. Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kirillo Timoschenko, veröffentlichte im Messengerdienst Telegram ein Video, auf dem Soldaten in einiger Entfernung aus einem Gebäude kommen und dabei einen schwarzgekleideten Mann mit sich führen, dessen Kopf offenbar in einem schwarzen Sack steckt.
Anzeichen für Neuaufstellung russischer Truppen
Zudem wird erwartet, dass der russische Vormarsch auf Kiew unmittelbar bevor steht. Satellitenbilder der amerikanischen Firma Maxar sollen zeigen, wie die Streitkräfte ihre Truppen neu gruppiert haben. Großbritannien deutete die Neuaufstellung als Vorbereitung eines möglichen Angriffs auf die Hauptstadt.
Gleichzeitig berichtet der Pentagon, dass sich der Militär-Konvoi vor Kiew stellenweise zerstreut. Einige Fahrzeuge verließen die Straße und parkten in Baumreihen, sagte ein hoher US-Verteidigungsbeamter. "Sie fahren nirgendwo hin. Es ist nicht so, dass sie nun querfeldein nach Kiew fahren." Vielmehr geht die US-Regierung davon aus, dass die Fahrzeuge sich so besser tarnen können. "Die Ukrainer versuchen weiterhin, Wege zu finden, um Fahrzeuge anzugreifen", sagte der Beamte. Das Vorgehen habe eher keine taktischen Gründe, um das Vorankommen des Konvois zu beschleunigen, hieß es.
Die schraffierten Bereiche zeigen die von den Russen kontrollierten Gebiete in der Ukraine.
Greift bald auch Belarus an?
Auch wächst die Sorge davor, dass Belarus in den Krieg in der Ukraine eingreifen könnte. Das ukrainische Zentrum für Strategische Kommunikation erklärte, es könne nicht ausschließen, dass Belarus noch am Freitag einen Angriff starten werde. Zuvor waren der russische Präsident Wladimir Putin und sein belarusischer Kollege Alexander Lukaschenko zu Beratungen zusammengekommen.
Nach Darstellung der Ukraine will Russland mit Luftangriffen auf belarusische Dörfer einen Kriegseintritt des Nachbarlandes provozieren. Der ukrainische Grenzschutz habe den Start russischer Kampfflugzeuge von einem Fliegerhorst in Belarus registriert, teilte die ukrainische Luftwaffe mit. Die Maschinen seien in den ukrainischen Luftraum eingedrungen und hätten dann das Feuer auf das Dorf Kopani in Belarus eröffnet. Russland versuche alles, um Belarus in den Krieg hineinzuziehen, sagte der stellvertretende ukrainische Innenminister Jewheniy Jenin in einem Fernsehinterview. Er gehe davon aus, dass die belarusische Regierung alles tue, um nicht in die Kämpfe hineingezogen zu werden.
Die Sprecherin des belarusischen Verteidigungsministeriums, Inna Gorbacheva, nannte laut der Nachrichtenagentur Tass die Berichte über den Beschuss belarusischer Ortschaften "Fake" und "Unsinn". "Die Armeeverwaltung unterstreicht nachdrücklich, dass Informationen über Angriffe auf belarusischem Territorium nur der Provokation dienen und ein Versuch sind, die Bevölkerung anzustacheln."
Russland will ausländische Kämpfer einsetzen
Russlands Präsident Wladimir Putin sprach sich unterdessen dafür aus, Freiwillige zur Unterstützung der prorussischen Separatisten im Osten der Ukraine einzusetzen. Allein aus dem Nahen Osten hätten sich schon mehr als 16.000 Menschen gemeldet, die für die "Befreiungsbewegung" der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk kämpfen wollten, sagte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu.
Selenskyj kritisierte die russischen Pläne auf das Schärfste. "Raketen, Fliegerbomben, Artillerie. Und jetzt auch noch syrische Söldner, die überhaupt nicht unterscheiden, wer in welcher Sprache hier redet, wer in welche Kirche geht und wer welche Partei unterstützt", sagte er in einer Videobotschaft. Die Syrer kämen aus einem Land, das so zerstört worden sei wie jetzt die ukrainischen Städte Mariupol, Charkiw, Ochtyrka, Tschernihiw, Wolnowacha und Isjum, sagte Selenskyj. Es seien "Söldner, die einfach zum Morden auf fremde Erde kommen".