Stoltenberg zur Ukraine NATO rechnet mit langem Krieg
NATO-Generalsekretär Stoltenberg wirbt für eine lange Unterstützung der Ukraine. Der Krieg könnte "Jahre dauern", warnte er. Kämpferisch äußerte sich der ukrainische Präsident Selenskyj: Besetzte Gebiete würden zurückerobert.
Seit 115 Tagen tobt der Krieg in der Ukraine - und dies könnte erst der Anfang sein. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Mitgliedsstaaten aufgefordert, bei der Unterstützung der Ukraine nicht nachzulassen. "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass er Jahre dauern könnte", sagte Stoltenberg der "Bild am Sonntag" mit Blick auf den russischen Angriffskrieg. Gleichzeitig betonte er, dass die NATO-Staaten keine Soldaten in die Ukraine senden werden.
Steigende Energie- und Lebensmittelpreise infolge der russischen Invasion seien "kein Vergleich zu dem Preis, den die Ukrainer jeden Tag mit vielen Menschenleben zahlen müssen", sagte der Norweger. Sollte der russische Präsident Wladimir Putin aus dem Krieg "die Lehre ziehen, dass er einfach so weitermachen könne wie nach dem Georgien-Krieg 2008 und der Besetzung der Krim 2014", dann bezahlten die NATO-Staaten "einen viel höheren Preis".
Johnson: Russische Eroberungen nicht akzeptieren
Auch der britische Premierminister Boris Johnson hält Zeit für den entscheidenden Faktor. In einem Gastbeitrag für die "Sunday Times" schrieb er, Kiews Unterstützer müssten sicherstellen, dass die Ukraine "die strategische Ausdauer hat, um zu überleben und schließlich zu gewinnen".
Alles hänge davon ab, "ob die Ukraine ihre Verteidigungsfähigkeit schneller stärkt, als Russland seine Angriffsfähigkeit erneuert". Johnson formulierte einen Vier-Punkte-Plan für "dauerhafte finanzielle und technische Hilfe" für die Ukraine. Teile davon sollten "für die kommenden Jahre" beibehalten und eventuell verstärkt worden. Ausdrücklich warnte Johnson davor, russische Gebietsgewinne in der Ukraine dauerhaft hinzunehmen.
"Was uns gehört, holen wir zurück"
Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj stellt sich offenbar auf eine längere militärische Auseinandersetzung ein. Er versprach den bedrohten Regionen im Süden der Ukraine militärischen Schutz und kündigte die Rückeroberung der von russischen Truppen besetzten Gebiete an.
"Wir werden niemandem den Süden abgeben. Alles, was uns gehört, holen wir zurück", sagte er in einer Videoansprache nach einer Reise in den Süden des Landes. Die Ukraine werde auch den sicheren Zugang zum Meer wiederherstellen, versicherte er. In den Ukrainern stecke mehr Lebenswille als Russland Raketen habe, so Selenskyj.
Kleinere militärische Erfolge
Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar waren russische Einheiten im Süden der Ukraine schnell vorgedrungen. Sie kontrollieren inzwischen nicht nur die gesamte ukrainische Küste des Asowschen Meeres, sondern auch große Teile des Gebiets Cherson. Die Halbinsel Krim hatte Russland bereits 2014 annektiert.
In den vergangenen Wochen gelang es der Ukraine, kleinere Gebiete zurückzuerobern. Offenbar hatte die russische Armee zuvor Einheiten aus dem Süden in den Donbass verlegt. Westliche Militärexperten bezweifeln aber, dass die ukrainische Armee zu einer großflächigen Rückeroberung fähig ist.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Russland erobert Ortschaft nahe Sjewjerodonezk
Im Osten der Ukraine kämpft sich die russische Armee offenbar weiter vor. Nahe Sjewjerodonezk soll sie Geländegewinne erzielt haben. "Durch Beschuss und die Erstürmung hat der Feind in der Ortschaft Metjolkine einen Teilerfolg erzielt und versucht sich dort festzusetzen", teilte der ukrainische Generalstab mit. Metjolkine liegt südöstlich von Sjewjerodonezk.
Zuvor hatte bereits der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow erklärt, russische Kräfte hätten die Ortschaft vollständig eingenommen. Einheiten aus Tschetschenien kämpfen sowohl bei Sjewjerodonezk als auch zuvor in Mariupol.
Nach Angaben des Gouverneurs von Luhansk, Serhij Hajdaj, schickt Russland weitere Reservetruppen nach Sjewjerodonezk. Mit Hilfe dieser Soldaten solle offenbar die gesamte Region erobert werden. Es ist unklar, woher der ukrainische Politiker diese Informationen bezieht.
Die Region Sjewjerodonezk ist seit Wochen ein Schwerpunkt erbitterter Gefechte. Gelingt es Russland, dieses Gebiet zu erobern, stünde die gesamte Provinz Luhansk unter russischer Kontrolle.