Selenskyj entlässt Geheimdienstler "Das ist keine positive Entscheidung"
Der Chef sowie zahlreiche Mitarbeiter des ukrainischen Geheimdienstes müssen gehen, ebenso eine Generalstaatsanwältin: Die Entlassungen durch Präsident Selenskyj werden von der Opposition in Kiew kritisch gesehen.
Jetzt ist es amtlich: Das ukrainische Parlament hat der Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes zugestimmt. Die Partei von Wolodymyr Selenskyj, Sluha Narodu, hat die Palamentsmehrheit. Damit ging die Entlassung von SBU-Chef Iwan Bakanow zügig durch. Bakanow selbst meldete sich bei Telegram, dem offiziellen Kanal des Inlandsgeheimdienstes SBU. Er betonte seine Leistungen, bedauerte aber auch mögliche Fehler. Sein Abschiedsstatement liest sich versöhnlich, Bakanow schwört die Ukrainer weiter auf Einigkeit ein.
Auch der Entlassung von Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa stimmte das Parlament zu - sie ist Mitglied der Präsidentenpartei. Die Vorgänge ziehen in der Ukraine weiter Kreise.
Oppositionspolitiker sieht Entlassung kritisch
Wolodymyr Arjew ist Abgeordneter im ukrainischen Parlament. Er vertritt die Oppositionspartei Europäische Solidarität. Den Beschluss des Präsidenten, beide hochrangige Beamte zu suspendieren, sieht er im ARD-Gespräch kritisch: "Dies ist keine positive Entscheidung, insbesondere im Moment, wenn die Ukraine Einigkeit, politische Einigkeit braucht. Und sie braucht eine klare rechtmäßige Entscheidung, die im Nachhinein nicht angezweifelt wird."
Der ukrainische Präsident hatte die Suspendierung mit einer großen Zahl von Überläufern innerhalb der beiden Behörden begründet, die mit Russland zusammenarbeiten würden. Er zog also die Behördenleiter zur Verantwortung.
"Haben sie jemand besseres?"
Andrej Borowik von Transparency International in der Ukraine meint dazu: "Ich sehe die Entscheidung weder negativ noch positiv, weil ich keinen der beiden für die perfekte Besetzung dieser Posten beim SBU und der Generalstaatsanwaltschaft halte. Aber haben sie jemand besseres? Ich weiß es nicht." Die beiden Posten sind wichtig, besonders im Krieg.
Kritiker wie der Oppositionspolitiker Arjew vermuten jedoch neben den Kollaborationsvorwürfen auch weitere Gründe für die Suspendierung.
Ich denke, Selenskyj versucht derzeit eine starke Machtstruktur aufzubauen, vor allem bei den Rechtsinstituten und in den Sicherheitsbehörden. Diese werden komplett unter der Kontrolle seines Präsidialamtes stehen - mit einer zuständigen Person, die dann Einfluss haben wird auf die neu vorübergehend ernannten Personen.
Aber das sei kein demokratischer Weg, sagt Arjew. Trotz des Kriegsrechts seien einige politische Fragen nicht zu vermeiden. "Weil die Ukraine ein demokratischer Staat ist."
Borowik von Transparency International übt Grundsatzkritik am gesamten Prozedere - besonders rund um die Besetzung des Postens der Generalstaatsanwältin:
Lasst uns doch schauen, wie der Generalstaatsanwalt überhaupt ernannt wird. Der Präsident schlägt dem Parlament jemanden vor. Also gibt es schon von Anfang an keinen Wettbewerb, keinen Test von professionellen Fähigkeiten oder so was Ähnliches. In den 30 Jahren unserer Unabhängigkeit waren der Generalstaatsanwalt und der Präsident ziemlich eng, unabhängig davon, wer Präsident war.
Keine guten Nachrichten von der Front
Ein Vorschlag, dabei für mehr Wettbewerb zu sorgen, sei gescheitert. Man sei nicht bereit, das offen und konkurrenzbasiert zu gestalten, sagt Borowik. So wird Selenskyj mitten im Krieg die Generalstaatsanwaltschaft und den Sicherheitsapparat weiter umkrempeln. 28 Mitarbeiter sollen entlassen werden, kündigte er bereits an.
Und an der Front ist auch keine Entspannung in Sicht. Die ukrainische Bevölkerung wird weiter mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Durch Beschuss und Raketenangriffe. Wie heute in der Region Odessa im Süden, im Gebiet Dnipro in der Zentralukraine und in Dörfern und Siedlungen im Nordosten des Landes. Auch tagsüber gibt es oft vielerorts Luftalarm - manchmal mehrere Male am Tag. Der Sommer im Krieg ist voller Angst.