Krieg gegen die Ukraine Weitere Zivilisten aus Stahlwerk entkommen?
Wochenlang waren sie im von Russland belagerten Stahlwerk in Mariupol eingesperrt: Nun melden prorussische Kräfte, dass weitere 50 Zivilisten das Werk verlassen konnten. In anderen Landesteilen setzt die russische Armee ihre Angriffe fort.
Während aus mehreren ukrainischen Städten russische Angriffe gemeldet werden, haben offenbar weitere Menschen das seit Wochen belagerte Stahlwerk in der im Süden des Landes gelegenen Hafenstadt Mariupol verlassen können. Nach Angaben der prorussischen Separatisten sind weitere 50 Zivilisten fortgebracht worden. "Heute, am 7. Mai, sind vom Territorium des Metallurgiekombinats Asowstal in Mariupol 50 Menschen evakuiert worden", teilte der Stab der selbst ernannten Donezker Volksrepublik auf seinem Telegram-Kanal mit.
Laut dem Kommandeur des Donezker Regiments "Wostok" ("Osten"), Alexander Chodakowski, ist es dabei zum ersten Mal seit der Belagerung zu einem direkten Treffen von Unterhändlern gekommen. "Eine Gruppe des Gegners kam mit weißer Flagge auf die Straße, die zur Brücke führt, auf der wir die evakuierten Zivilisten aus Asowstal empfangen haben", schrieb der 49-Jährige auf seinem Telegram-Kanal. Von ukrainischer Seite oder unabhängiger Seite gibt es bislang keine Bestätigung dafür. Darüber, wohin die Zivilisten verbracht wurden, machten die Separatisten ebenfalls keine Angaben.
Unter Vermittlung der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes wurden in der vergangenen Woche Flüchtlingskorridore eingerichtet, mit denen Zivilisten aus dem belagerten Stahlwerk entkommen konnten. Laut UN-Generalsekretär António Guterres konnten so insgesamt etwa 500 Personen gerettet werden. In den Bunkeranlagen hatten sich neben Zivilisten auch die letzten ukrainischen Kämpfer in Mariupol verschanzt. Bisher durften aber nur Zivilpersonen, meist Frauen, Kinder oder ältere Menschen, das Werk in Richtung ukrainisch kontrolliertes Gebiet verlassen. Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte, Russland blockiere weiterhin die ukrainischen Einheiten im Bereich von Asowstal.
Ziel der russischen Truppen ist angeblich, das mit Bunkern und Tunneln stark befestigte Werk bis zum 9. Mai zu erobern. Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj arbeite man "an diplomatischen Optionen", um die Kämpfer zu retten. Internationale Vermittler seien beteiligt. Er drohte, es werde keine Gespräche mehr mit Russland geben, wenn die Zivilisten und Soldaten in dem Stahlwerk getötet würden.
Offenbar schwere Raketenangriffe auf Odessa
In anderen Landesteilen setzte die russische Armee nach ukrainischen Angaben ihre Offensive fort. Aus mehreren Städten wurden Angriffe gemeldet. Auf die südukrainische Hafenstadt Odessa sind ukrainischen Angaben zufolge mindestens vier russische Raketen abgefeuert worden. Örtliche Medien zeigten dicke schwarze Rauchwolken über dem Stadtgebiet. Berichten zufolge soll ein Militärflugplatz getroffen worden sein. Die Behörden machten zunächst keine Angaben zu möglichen Opfern. Von russischer Seite gab es bislang keine Bestätigung.
Explosionen - teils von der Luftabwehr - wurden auch aus dem benachbarten Gebiet Mykolajiw, dem zentralukrainischen Poltawa und dem westukrainischen Chmelnyzkyj gemeldet. Bei einem Angriff auf das grenznahe nordostukrainische Gebiet Sumy sei bei einem Luftangriff mindestens ein Mensch verletzt worden.
Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Laut ukrainischem Verteidigungsministerium zerstörten russische Truppen in der Region Charkiw drei Straßenbrücken, um ukrainische Gegenangriffe aufzuhalten. Die ukrainisch kontrollierte Stadt Sewerodonezk in der östlichen Region Luhansk war nach Angaben ihres Bürgermeisters vom Freitag "praktisch umstellt".
Ukrainischen Rettungsdiensten zufolge wurde in Kostjantyniwka in der Region Donezk eine Technische Hochschule von einer Rakete getroffen und in Brand gesetzt. Mindestens zwei Menschen seien gestorben. Entlang der Frontlinie gab es nach Behördenangaben "massive Bombenangriffe".
Sorge im Vorfeld des "Tag des Sieges"
Zuvor hatten ukrainische Behörden vor verstärkten russischen Luftangriffen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden russischen "Tag des Sieges" gewarnt. Am 9. Mai feiert Russland den 77. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über das nationalsozialistische Deutschland. Bei der traditionellen großen Militärparade in Moskau wird Präsident Wladimir Putin sprechen. Erwartet wird, dass er dabei die weitere Richtung für den Angriffskrieg gegen die Ukraine vorgibt. Westliche Beobachter halten es für möglich, dass er der Ukraine offiziell den Krieg erklären oder eine Generalmobilmachung verkünden könnte, auch wenn der Kreml entsprechende Pläne bislang als "Unsinn" zurückgewiesen hat.
Der ukrainische Präsident rief deswegen zu Vorsicht und Disziplin auf. "Ich bitte alle unsere Bürger - und gerade in diesen Tagen -, den Luftalarm nicht zu ignorieren", sagte der Staatschef in einer Videoansprache. "Bitte, das ist Ihr Leben, das Leben Ihrer Kinder." Die Ukrainerinnen und Ukrainer sollten strikt den Anordnungen der Behörden folgen und sich an örtliche Ausgangssperren halten, mahnte Selenskyj.
Das ukrainische Innenministerium kündigte an, mit 5000 Mann zu patrouillieren, um mögliche Provokationen zu unterbinden. In frontnahen Städten wie Odessa soll zwei Tage eine Ausgangssperre gelten. In der Hauptstadt Kiew werde es diese zwar nicht geben, sagte Bürgermeister Vitali Klitschko. Aber auch er riet den Menschen, zuhause zu bleiben. "In den kommenden Tagen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit von Raketenbeschuss in allen Regionen der Ukraine", sagte er.