Nach Beschuss von Odessa "Ernste Zweifel an Russlands Glaubwürdigkeit"
Der ukrainische Präsident Selenskyj hat den Beschuss des Hafens von Odessa als Akt "offensichtlicher russischer Barbarei" bezeichnet. Auch US-Außenminister Blinken reagierte in scharfer Form. Es gebe "ernste Zweifel" an der Glaubwürdigkeit Moskaus.
Die US-Regierung hat angesichts des Angriffs auf den Hafen von Odessa Russlands Glaubwürdigkeit infrage gestellt. Nur einen Tag nach der Vereinbarung über die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über das Schwarze Meer habe Russland seine Verpflichtungen gebrochen, teilte US-Außenminister Antony Blinken mit. "Dieser Angriff lässt ernste Zweifel an der Glaubwürdigkeit des russischen Engagements für die gestrige Vereinbarung aufkommen."
Blinken kritisierte, der Beschuss untergrabe die Arbeit der Vereinten Nationen, der Türkei und der Ukraine, um wichtige Nahrungsmittel auf die Weltmärkte zu bringen. Russland trage die Verantwortung für die Verschärfung der weltweiten Nahrungsmittelkrise. Moskau habe der Vereinbarung zur Ausfuhr von Getreide zugestimmt und stehe nun in der Pflicht, sie vollständig umzusetzen.
Selenskyj spricht von "russischer Barbarei"
Noch deutlichere Worte fand der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der von einem Akt "offensichtlicher russischer Barbarei" sprach. Der Angriff sei ein weiterer Grund dafür, der Ukraine solche Waffen zu geben, "die für unseren Sieg notwendig sind", sagte der Staatschef in seiner Videobotschaft. Darin warf er Russland vor, den Hafen von Odessa beschossen zu haben. Der Kreml weist das zurück, wie die Türkei nach einem Gespräch mit der Kriegspartei mitgeteilt hatte.
Welche Folgen der Angriff für das Getreideabkommen hat, ist noch unklar. Die Aussagen dazu aus der ukrainischen Regierung sind nicht ganz eindeutig.
Während Infrastrukturminister Olexander Kubrakow via Facebook mitteilte, dass die Ukraine ihre Vorbereitungen zur Wiederaufnahme des Getreideexports aus ihren Häfen fortsetze, stellte Selenskyj den Sinn des Getreideabkommens mit Russland infrage. Der Angriff beweise eines: "Egal was Russland sagt oder verspricht, es wird Möglichkeiten finden, es nicht umzusetzen", sagte Selenskyj in einem auf Telegram verbreiteten Video.
"Ins Gesicht gespuckt"
Das ukrainische Außenministerium erklärte, es habe nach der von UN-Generalsekretär António Guterres und der Türkei vermittelten und in Istanbul unterzeichneten Vereinbarung "weniger als 24 Stunden gedauert, bis Russland einen Raketenangriff auf den Hafen von Odessa gestartet hat". Der russische Präsident Wladimir Putin habe damit Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan "ins Gesicht gespuckt", die sich so sehr für die Vereinbarung eingesetzt hätten.
Bei dem Beschuss von Odessa wurden nach ukrainischen Angaben zwei russische Raketen von der Luftabwehr abgefangen, zwei weitere sollen im Hafen eingeschlagen sein. Dabei sei Infrastruktur des Hafens beschädigt worden.
Getreideabkommen am Freitag unterzeichnet
Russland hatte am Freitag in einem Abkommen zugesichert, Schiffe für den Export über einen Seekorridor fahren zu lassen und nicht zu beschießen. Auch die drei beteiligten Häfen dürfen demnach nicht angegriffen werden. Es geht dabei unter anderem um die Ausfuhr von Millionen Tonnen Getreide. Die Einigung sieht vor, die Exporte von einem Kontrollzentrum in Istanbul überwachen zu lassen.
Die UN und die Europäische Union verurteilten den Beschuss. UN-Generalsekretär Guterres, der am Freitag der Unterzeichnung beigewohnt hatte, betonte, alle Parteien hätten sich klar verpflichtet, den sicheren Export ukrainischen Getreides zu gewährleisten. "Die vollständige Umsetzung durch die Russische Föderation, die Ukraine und die Türkei ist zwingend erforderlich", erklärte er. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb bei Twitter, der Beschuss des Hafens zeige "erneut Russlands völlige Missachtung des Völkerrechts und der Verpflichtungen".
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.