Angriffe auf die Ukraine "Es ist ein Albtraum"
Mehr als 30 Tote, mindestens 130 Verletzte: Es war einer der massivsten landesweiten Angriffe auf die Ukraine seit Jahresbeginn. In der Kinderklinik in Kiew waren gerade Operationen im Gange, als sie getroffen wurde.
Ein Brutkasten für Neugeborene, verbogene Infusionsständer, kaputte Krankenhausbetten: Schweißgebadet und mit ernsten Gesichtern räumen die Männer von Feuerwehr, Katastrophendienst und Armee diese und weitere medizinische Geräte aus den getroffenen Gebäuden des Kinderkrankenhauses in Kiew. Es ist das größte im Land - nun starren schwarze ausgebrannte Fenster aus dem noch rauchenden Hauptgebäude.
Auf dem Boden liegen blutverschmierte Verbände. Mütter und Väter tragen verstört wirkende, teils verletzte Kinder panisch über das Gelände. Eine junge Mutter hält ihre kleine Tochter auf dem Arm, deren Hand verbunden ist. Sie weint.
"Wir kamen fünf Minuten bevor es passierte hierher und haben es geschafft, in den Keller der Pädiatrie zu kommen", sagt sie. "Es ist ein Albtraum."
Eltern und Rettungskräfte versuchen, Kinder in Sicherheit zu bringen. Laut ukrainischen Angaben wurden zwei Pfleger getötet, unter den Verletzten sind auch Kinder.
Mehrere Großstädte mit Raketen beschossen
Es war einer der massivsten russischen landesweiten Angriffe seit Jahresbeginn. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe feuerte Russland aus unterschiedlichen Richtungen mindestens 38 verschiedene Raketen ab, auch die besonders schnellen und berüchtigten Kinschal. 30 angreifende Raketen seien abgeschossen worden.
Moskau nahm dabei mehrere Großstädte ins Visier. Im Gebiet Donezk im Osten des Landes traf es Kramatorsk, Slowjansk und Pokrowsk, im Südosten Dnipro und Krywyj Rih, die Geburtsstadt von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Insgesamt wurden landesweit mindestens 30 Menschen getötet und mindestens 130 verletzt. Nach wie vor sind Menschen verschüttet und werden vermisst.
Beim Angriff auf das Kinderkrankenhaus Ochmadyt starben mindestens zwei Krankenpfleger. Laut Gesundheitsministerium wurden unter anderem die Intensivstation und die Kinderonkologie getroffen.
Immer wieder Luftalarm: Eltern suchen mit ihren Kindern im Keller des Krankenhauses Schutz.
"Zwei Operationen waren gerade im Gange"
Oberschwester Natalya Dorodnova steht am Eingang des Herzzentrums. Sie ist blass, wirkt aber gefasst und fährt sich durch ihre roten Haare. "Zwei Operationen waren gerade im Gange", sagt sie. "Gott sei Dank haben alle überlebt und alle Operationen konnten beendet werden. Die Kinder wurden ebenfalls in den Keller gebracht. Aber unsere Fenster sind rausgefallen. Unsere Geräte stehen zwar, aber die Lampen flackern."
Es ist schon wieder Flugalarm. Leichenblasse Eltern sitzen mit ihren Kindern dicht gedrängt im Keller des getroffenen Herzzentrums. Ein Junge weint und rutscht nervös hin und her. "Ich bin so erschrocken", flüstert ein kleines Mädchen.
Ein Brutkasten wurde aus dem Krankenhaus ins Freie gerettet.
Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte in Polen auf die Angriffe, wo er vor dem NATO-Gipfel diese Woche einen Besuch in Warschau machte. Das Kinderkrankenhaus Ochmadyt sei für Land und Region von großer Bedeutung, sagte er. "Der Angriff traf die Abteilung, in der die Kinder eine Dialyse erhielten. Beschädigte Häuser, der Abriss der Trümmer geht noch weiter. Ich möchte alle Anwesenden bitten, ihr Andenken mit einer Schweigeminute zu würdigen."
Die Ukraine werde eine Dringlichkeitssitzung bei den UN beantragen, so der Präsident. Die Welt könne Russland nur gemeinsam zu Frieden zwingen. Auch Energieinfrastruktur wurde erneut angegriffen. Nach Angaben des Unternehmens DETK wurden in Kiew drei Trafostationen beschädigt.
Bilder zeigen die schweren Zerstörungen an dem Gebäude.
Weitere medizinische Einrichtung getroffen
Nikita Bekartschuk arbeitet in einer Autowerkstatt gegenüber des Kinderkrankenhauses und war einer der ersten vor Ort. Sein schwarzes T-Shirt ist voller Dreck und Staub. Er habe den Morgen über Explosionen gehört und sei nach draußen gegangen, um zu sehen, was passiert war, sagt er. "Ich habe gesehen, wie das Krankenhaus getroffen wurde."
Wieder ertönt Luftalarm, leise Panik ergreift die Menschen. Kurz darauf wird eine weitere medizinische Einrichtung in Kiew getroffen, weitere Menschen sterben.
"Gehen wir lieber in den Schutzraum", schlägt Nikita vor und lächelt müde. "Übrigens", sagt er - "ich werde heute 19 Jahre alt."