Neue Reisefreiheit in Kraft Kosovaren können nun visafrei in die EU reisen
Einwohner des Kosovo brauchten lange ein Visum für einen Abstecher in die EU. Das hieß: lange Wartezeiten, relativ hohe Kosten. 2016 versprach die EU ein Ende der Visumspflicht - mit dem Jahreswechsel trat es nun in Kraft.
Sie haben lange darauf gewartet: Schon vor mehr als sieben Jahren hatte die EU-Kommission vorgeschlagen, dass auch Reisende aus dem Kosovo visafrei, also nur mit ihrem Reisepass, alle Länder der Europäischen Union besuchen können sollten - einfach so, für maximal 90 Tage. Dann aber zog es sich hin: Es gab neue Hürden, neue Bedingungen, Bedenken einzelner EU-Länder, die noch nicht alle den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt haben.
Jetzt atmet Klisman Kadiu tief durch. Er ist in der Kosovo-Regierung dafür zuständig, dass nun alles funktioniert: "Es war ein langer Weg", sagt er, "ein harter Weg für alle Einwohner des Kosovo, um endlich die Visafreiheit zu bekommen - wir haben es in der letzten Zeit schon so oft erwartet."
Fast 100 Bedingungen wurden nach dem ersten positiven Signal der EU-Kommission nachgeschoben, nicht alle hatten direkt mit der Visa-Liberalisierung zu tun. Der Kosovo hat sie abgearbeitet und damit auch die letzten Blockaden einzelner EU-Länder überwunden. Letztes Jahr stimmte das EU-Parlament zu, der Kosovo musste "nur" noch in "ETIAS" eingeschleust werden, das elektronische Europäische Reiseinformationssystem. Auch das dauerte noch etwas, bis dem Kosovo zum 1. Januar 2024 die Reisefreiheit zuerkannt wurde, dem letzten aller genannten Termine.
Zwei bis drei Monate Warten auf ein EU-Visum
Dadurch sei Europa auch in diesem Westbalkan-Land deutlich näher gerückt, sagt Driton Selmani, Künstler aus dem Kosovo. Er war schon bisher viel in Europa unterwegs, aber immer unter erschwerten Bedingungen - mit dem "Countdown", sagt er, bis das Reisevisum genehmigt war. "Europa", stellt er freudig und etwas trocken fest, "wird jetzt - technisch gesprochen - sein, wo es sein sollte: zwei oder drei Stunden entfernt - für immer. Und nicht mehr zwei oder drei Monate."
Zwei oder drei Monate, das war die übliche Wartezeit für ein Visum in ein EU-Land, das jedes Mal um die 170 Euro Kosten verursachte - viel Geld bei einem Durchschnittseinkommen im Kosovo von nur etwas über 480 Euro. Dass das jetzt vorbei ist, sei eine echte Chance, sagt Selmani, nicht nur für die Kosovaren. Auch die Länder der EU hätten etwas davon, denn der Kosovo sei ein sehr junges Land mit vielen Programmierern und IT-Experten.
Angst vor der Abwanderung der Jungen
Mehr Reisefreiheit, das dürften auch viele nutzen, um sich in Europa nach neuen Jobs umzuschauen - auch wenn das so mit der Visafreiheit nicht gedacht ist. Es wird so sein, sagt der weitgereiste Künstler Selmani - mit Risiken für den Kosovo selbst: "Der Kosovo wird wieder leiden unter der Abwanderung der jungen Köpfe. Die Regierung sollte wirklich alarmiert sein, was sie dagegen tut."
Die Regierung weist auch deutlich darauf hin: Es geht um Reisefreiheit - nicht weniger, aber auch nicht mehr. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden - die muss nach wie vor bei der deutschen Botschaft extra beantragt werden. Wobei sich die Zahl der von Deutschland erteilten Arbeitsvisa im vergangenen Jahr verdoppelt hat - mehr als die Hälfte davon für Arbeiter auf dem Bau.
"Jetzt können sie sich selbst ein Bild machen"
Vermittlung von Arbeitskräften nach Bedarf ist das Geschäft von Petrit Sadriu, Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens, das Arbeitskräfte in die EU vermittelt, sowie bei den Arbeitsvisa und der Anerkennung kosovarischer Abschlusszeugnisse hilft. Mehr Reisefreiheit? Er lacht erstmal, freut sich, sagt er, für seine Landsleute, die jetzt mal eben kurz nach Deutschland reisen können, um sich selbst ein Bild zu machen, ob Deutschland wirklich das Paradies ist, von dem die ausgewanderten Onkel und Tanten erzählen, wenn sie mit ihren "protzigen Autos" in den Sommerferien kurz zurückkommen.
Denn Sadriu kennt sich aus. Dass sie dafür hart arbeiten müssen, um sechs Uhr aufstehen, eine Stunde mit dem Zug, erst um sieben abends wieder zu Hause sind, "das erzählt der Onkel nicht". Deshalb werde spannend, was jetzt passiert, meint Sadriu und schätzt, dass zwei Drittel, die die neue Reisefreiheit nutzen, wieder in den Kosovo zurückkommen.
Programmierer statt Soldaten
In eines der - statistisch - ärmsten Länder Europas, in dem der Boom aber langsam sichtbar wird, vor allem rund um die Hauptstadt Pristina: Überall wird gebaut. Wer in der Hauptstadt Taxi fährt, fährt in der Regel ein neues E-Taxi aus dem Volkswagen-Konzern. Es wird investiert. In die von der KFOR-Schutztruppe aus Deutschland verlassene Kaserne in Prizren sind IT-Firmen eingezogen - Programmierer anstelle von Soldaten.
Dorian Morina ist einer von den jungen Köpfen, noch nicht fertig mit dem Studium, das er sich durch Kellnern möglich macht. Er erzählt, dass viele seiner Mitstudenten natürlich den Kosovo immer noch verlassen wollen. Aber er meint, viele hätten unrealistische Vorstellungen über ihre Chancen, zum Beispiel in Deutschland. Sie sollten hier bleiben, sagt er. Denn sie - die Jungen - seien "die einzige Garantie, dass sich die Dinge zum Besseren ändern hier im Land." Jetzt dürfen sie erstmal frei reisen in Europa - und sich selbst ein Bild machen.