Machtkampf in Russland Der gescheiterte Prigoschin-Aufstand
Am Wochenende haben sich die Ereignisse in Russland überschlagen: Kämpfer der Gruppe Wagner machen sich von der Ukraine Richtung Moskau auf den Weg, dann pfeift ihr Chef sie plötzlich zurück. Was war da los? Ein Überblick.
Die äußeren Spuren des Aufstands dürften schnell beseitigt sein: die eilig errichteten Straßensperren auf den Südausfahrten von Moskau, von Panzern beschädigte Straßen in Rostow am Don, beschossene Häuser bei Woronesch, Gräben auf der Autobahn M4, um Panzerkolonnen zu stoppen.
Politisch sieht das anders aus: Denn ein alter Verbündeter von Präsident Wladimir Putin hat den - offenbar unerwarteten - bewaffneten Aufstand gewagt und sich einen Ausweg ausgehandelt, der das Ansehen Putins weiter ankratzen dürfte.
Am Freitag schuf Jewgeni Prigoschin nach monatelangen verbalen Beschimpfungen Fakten gegen den russischen Verteidigungsminister und dessen Generalstabschef, die er unfähig, korrupt, betrügerisch und bürokratisch nannte. Und dann dieser ungeheuerliche Vorwurf: "Sie starteten Raketenangriffe auf unser rückwärtiges Lager. Eine große Anzahl unserer Kämpfer ist gestorben", so Prigoschin.
Putin drohte Prigoschin Strafen an
Prigoschin setzte seine Truppen im Grenzgebiet Ukraine-Russland in Marsch, besetzte ein Hauptquartier der russischen Armee in Rostow am Don, dann zogen seine Kolonnen bestens ausgerüstet Richtung Norden - Richtung Moskau.
"Jeder, der bewusst den Weg des Verrats eingeschlagen hat, der eine bewaffnete Meuterei vorbereitet hat, der den Weg der Erpressung und terroristischer Methoden eingeschlagen hat, wird eine unvermeidliche Strafe erleiden", warnte Präsident Putin am Samstag per Fernsehansprache seinen langjährigen vertrauten Prigoschin. "Er wird sowohl vor dem Gesetz als auch vor unserem Volk zur Rechenschaft gezogen werden."
Lukaschenko vermittelte offenbar Deal
Da liefen bereits Verhandlungen an - in der offiziellen Darstellung kontaktierte der belarusische Machthaber Alexander Lukaschenko mit dem ausdrücklichen Segen Putins seinen langjährigen Freund Prigoschin und handelte Konditionen aus für ein Ende ohne großes Blutbad. Denn Opfer gab es - die Wagner-Truppen sollen ein Flugzeug und mehrere Hubschrauber abgeschossen haben.
Dennoch verkündete der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow: "Es wurde vereinbart, dass die Wagner-Truppe in ihre Lager zurückkehren, ein Teil von ihnen, die es wollen, werden in Zukunft Verträge mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnen." Und Jewgeni Prigoschin? Ebenfalls Straffreiheit, er darf unbehelligt nach Belarus ausreisen und verließ am Samstagabend unter dem Applaus Anwesender das Armeehauptquartier in Rostow am Don.
"Wir traten zum Gerechtigkeitsmarsch an", erklärte Prigoschin. "Innerhalb eines Tages standen wir 200 Kilometer vor Moskau. Während dieser Zeit haben wir keinen einzigen Tropfen Blut unserer Kämpfer vergossen."
Keine weiteren Äußerungen von Prigoschin und Putin
Danach hat sich Prigoschin nicht mehr öffentlich geäußert, Russlands Präsident ebenfalls nicht. Zwar wurde ein vom Staatsfernsehen vor dem Aufstand aufgezeichnetes Interview am Sonntag ausgestrahlt - aber darin konnte Putin logischerweise nicht auf die Ereignisse des Wochenendes eingehen.
Der von Prigoschin beschimpfte Verteidigungsminister Sergej Schoigu und sein Generalstabschef waren ebenfalls vorerst untergetaucht. Nun veröffentlichte das Verteidigungsministerium allerdings ein Video von Schoigu, das ihn in einem militärischen Hauptquartier in der Ukraine zeigt. Ob das Video aber aktuell - nach dem Wagner-Aufstand - aufgenommen wurde, ist unklar. Nach Angaben des Kremlsprechers war eine Amtsenthebung des Ministers und Generalstabschefs nicht Teil der Vereinbarung mit Prigoschin.
Wie konnte es zum bewaffneten Aufstand kommen, welche Konsequenzen hat das für das System Putin, wie weit ist das Image als Garant für Sicherheit und Stabilität im Land angekratzt? Und wird es - entgegen offiziellen Behauptungen - Auswirkungen auf den Krieg gegen die Ukraine geben? Auch wenn die äußeren Spuren des Aufstands schnell beseitigt sind, diese Fragen suchen nicht nur in Russland überzeugende Antworten.