Nach Krawallen in Frankreich Wer sind die "Gelbwesten"?
Am Wochenende haben erneut Krawalle der sogenannten Gelbwesten Frankreich erschüttert. Welche politischen Ziele verfolgt die neue Bewegung, und lässt sie sich auf Verhandlungen ein? Fragen und Antworten.
Wie entstand die Bewegung?
Die Bewegung begann in den sozialen Netzwerken. Als die Benzinpreise im Sommer wieder auf Rekordhöhen kletterten, tauchten Protestvidoes auf. Sie wurden teilweise millionenfach geklickt. Priscilla Ludovsky, eine junge Kosmetikerin aus den Pariser Vorstädten, startete eine Online-Petition für eine Senkung der Benzinpreise. Die Regierung sollte die geplante Erhöhung der Spritsteuern zurücknehmen. Über eine Million Unterschriften kamen zusammen.
Dann rief der Lkw-Fahrer Eric Drouet dazu auf, am 17. November landesweit Straßen zu blockieren. Die Regierung solle aufhören, die Bürger zu bestrafen, sagte er. Auf dem Land habe man keine Wahl, man müsse das Auto nehmen.
Die Idee entstand, sich als Markenzeichen gelbe Warnwesten überzustreifen. Seitdem sieht man überall im Land Frauen und Männer in gelben Westen, die Kreisverkehre und Mautstationen besetzt halten.
Werden die "Gelbwesten" von Parteien unterstützt?
Es ist eine völlig neue Art von Bewegung, die in Windeseile und so gut wie aus dem Nichts entstanden ist. Sie hat sich spontan über die sozialen Netzwerke organisiert. Parteien und Gewerkschaften sind außen vor, und das mit Absicht, sagt Drouet. "Wir sind wirklich eine Bewegung des Volkes. Wir fühlen uns keiner politischen Partei zugehörig. Und lassen uns auch nicht vor deren Karren spannen." Es seien nur die einfachen Bürger in der Bewegung. Viele wollten sie jedoch okkupieren.
Auch nationalistische und rechtsextreme Demonstranten mischen sich unter die Proteste der "Gelbwesten".
Was wollen die "Gelbwesten"?
Die Forderungen der "Gelbwesten" gingen sehr schnell über die Streichung der Ökosteuer-Erhöhung hinaus. Eine Unzufriedenheit von vielen Millionen Franzosen mit ihren prekären Lebensverhältnissen bricht sich Bahn. Was man daher vor allem wolle, seien Maßnahmen zur Verbesserung der Kaufkraft, so der in den Medien präsente Sprecher Jean-Francois Barnabas: "Sowohl durch eine Senkung der Steuern als auch durch die Erhöhung der Löhne."
Vergangene Woche listeten die "Gelbwesten" in einer Mitteilung 42 Forderungen auf. Vieles zielt auf eine Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen. Aber es gibt auch eine eindeutige politische Stoßrichtung. Barnabas verlangt eine radikale Demokratisierung. Das politische System müsse rundum erneuert werden. Das Volk sei derzeit nicht genug vertreten, sagte er. Unter anderem müsse eine Bürgerversammlung eingerichtet werden und zu allen Gesetzesvorhaben müsse es Volksabstimmungen geben können.
Im Prinzip geht es den "Gelbwesten" um ein anderes Frankreich. Politik müsse im Interesse der einfachen Bürger und auch direkt durch die einfachen Bürger gemacht werden. Es ist eine umfassende Kampfansage an die Eliten.
Wie stehen die "Gelbwesten" zu Gewalt?
Spätestens seit vergangenem Samstag ist deutlich, welches Gewaltpotenzial in der Bewegung steckt. Die meisten der Randalierer, die Teile von Paris verwüsteten, kommen aus dem links- und dem rechtsextremen Spektrum oder sind gewohnheitsmäßige Plünderer. Aber viele "Gelbwesten" zollten Beifall. Und viele von ihnen halten Gewalt für legitim.
So auch ein Aktivist an einer Straßenblockade in Südfrankreich. "Gewalt muss sein, leider, wenn wir keine Gewalt anwenden, dann werden wir nicht gehört", sagte er.
"Gelbwesten" zündeten Baustellenmaterialien und Möbel vor Straßencafés an, stürzten Autos um und attackierten Beamte mit Wurfgeschossen.
Wie sieht die Unterstützung im Land aus?
Die "Gelbwesten" konnten am ersten Aktionstag Mitte November etwa 300.000 Menschen mobilisieren. Die Teilnahme geht seitdem ständig zurück. Am vergangenen Samstag waren es weniger als 150.000. Frankreich hat schon viel größere Demonstrationen erlebt. Aber die meisten Franzosen - Umfragen zufolge etwa drei Viertel - unterstützen die Bewegung oder äußern zumindest Verständnis. Es gibt allerdings deutliche regionale Unterschiede. Besonders groß ist die Mobilisierung auf dem Lande und in den kleinen und mittleren Provinzstädten. Paris ist viel weniger engagiert.
Werden die "Gelbwesten" mit der Regierung verhandeln?
Die Regierung will einen Dialog mit den "Gelbwesten" beginnen. Als eine erste Maßnahme des Entgegenkommens will Premierminister Edouard Philippe die umstrittenen Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel aussetzen. Die Erhöhung war von Januar an geplant. Offen ist nun, ob dieser Schritt reichen wird, Gespräche zu beginnen.
Vertreter der Bewegung hatten ein für den heutigen Dienstag geplantes Treffen mit Philippe abgesagt. Als Grund gaben sie an, von Hardlinern innerhalb der Gruppierung bedroht worden zu sein, weil sie mit Regierungsvertretern sprechen wollten.
Gemäßigte Gelbwesten wurden bereits zuvor angegriffen. Benjamin Cauchy bekam schon mehrere Dutzend SMS und Mails und Hunderte Hasseinträge auf Facebook. "Da werde ich physisch bedroht und auch meine Familie", sagte er.
Cauchy befürchtet nun einen wachsenden Fundamentalismus in der Bewegung der "Gelbwesten". Eins ist auf jeden Fall klar: Es ist eine sehr heterogene Bewegung - und sehr unberechenbar.