Vor dem EU-Gipfel Großbritannien sortiert sich neu
Er ist gekommen, um zu gehen. David Cameron probt den letzten Handschlag in Brüssel. Und daheim in London? Im Königreich rumort es nach dem Brexit-Votum, die britische Innenpolitik sortiert sich neu.
David Cameron sagt heute in Brüssel Goodbye - es wird sein letzter EU-Gipfel sein. Und dazu nur ein halber: Denn für morgen haben ihn die anderen Regierungschefs bereits von den Beratungen ausgeschlossen. Auf dem nächsten Gipfel wird Großbritannien bereits von seinem Nachfolger vertreten sein, und der kommt voraussichtlich nur noch, um die Austrittsverhandlungen einzuleiten. Wer das sein wird - das wird sich nun doch früher als erwartet entscheiden.
Zeitplan für den neuen Premier
Der Zeitplan steht jetzt fest: Bis übermorgen können die Kandidaten sich bei der Unterhausfraktion der Konservativen melden, bereits in der kommenden Woche sollen die Abgeordneten über eine Vorauswahl abstimmen - und bis zum 2. September sollen dann die Mitglieder der konservativen Partei in einer Urabstimmung den neuen Vorsitzenden bestimmen, der dann gleichzeitig das Amt des Premierministers übernehmen wird.
Doch wer wird's?
Heute meldete sich ein weiterer möglicher Kandidat - Gesundheitsminister Jeremy Hunt. Er präsentierte auch gleich einen Plan für den Austritt aus der EU: "Wenn wir jetzt austreten, dann ist es für uns absolut essenziell, dass wir im europäischen Binnenmarkt bleiben, weil Hunderttausende unserer Jobs vom Zugang zum größten Markt der Welt abhängen", so Hunt. "Aber wir müssen auch die andere Botschaft des Referendums berücksichtigen", fügte er hinzu. Die Bürger wollten die Freizügigkeit der Menschen in Europa nicht. Deshalb plädiere er für ein Norwegen Plus-Modell: "Norwegen ist kein Mitglied der EU, gehört aber zum Binnenmarkt, aber wir brauchen noch etwas, was die Norweger nicht haben, nämlich die Kontrolle über die Zuwanderung."
Hunt, der vor dem Referendum für den Verbleib des Landes gekämpft hat, ist allerdings nicht der Favorit für Camerons Nachfolge. Das ist Boris Johnson, der frühere Londoner Bürgermeister, der Anführer der Austrittskampagne und Sieger des Referendums. Er hält sich aber weiter bedeckt - sammelt seine Unterstützer um sich, und ist angeblich bereits dabei, ein Team für die Übernahme der Regierungsgeschäfte zu bilden.
Innenministerin Theresa May gilt als Mitfavoritin für den Premier-Posten ...
Alle außer Boris?
Doch das Rennen ist nicht gelaufen. Johnson hat viele Feinde, vor allem unter den Abgeordneten, die bereits unter dem Titel "Anyone but Boris", "Jeder nur nicht Boris", nach einem Kompromisskandidaten suchen. Das könnte Innenministerin Theresa May sein, die zwar für den Verbleib des Landes in der EU war, aber mit dieser Position in der Kampagne vor dem Referendum nicht besonders aufgefallen ist. Und: Sie ist in Sachen Zuwanderung, dem Thema, das das Referendum beherrscht hat, eine Hardlinerin.
Unruhe auch bei Labour
Während die Konservativen nun also einen neuen Vorsitzenden und Premierminister suchen, versucht Labour, die größte Oppositionspartei, ihren Vorsitzenden Jeremy Corbyn, aus dem Amt zu kippen. Seine Gegner machen ihn dafür verantwortlich, dass so viele Labour-Wähler dafür gestimmt haben, aus der EU auszutreten. Sie haben ein Misstrauensvotum in der Fraktion durchgesetzt.
Am Abend sollen die Labour-Abgeordneten darüber abstimmen. Angela Eagle, die bereits aus seinem Schattenkabinett zurückgetreten ist, fordert, dass Corbyn geht: "Im Interesse der Partei muss Jeremy zurücktreten. Er schadet unserer Partei. Eine Labour-Party, die keine Wahl gewinnen kann, nützt den Ärmsten in unserem Lande nicht."
Labour-Chef Corbyn will sich im Amt retten.
Doch Corbyn, der Alt-Linke, der nach der Niederlage bei der Unterhauswahl vor einem Jahr überraschend Labour-Vorsitzender wurde, will nicht gehen. Nach einer turbulenten Fraktionssitzung wandte er sich gestern Abend auf dem Parliament Square an seine Anhänger und rief die Partei zur Einigkeit auf. Am Ende sind es wieder die Mitglieder, die einen neuen Labour-Vorsitzenden wählen. Und die haben vor einem Jahr für Corbyn gestimmt.