Coronavirus Venedig sehnt sich plötzlich nach Touristen
Die Corona-Krise hat den Tourismus in Venedig ausgebremst. Man sehnt sich nach der Rückkehr jener Besucher, die in der Vergangenheit auch verflucht wurden. Ab dem 3. Juni sind in Italien nun Auslandsreisen wieder erlaubt.
Mit ihrem leuchtend weißen Haar steht Rosa Wilma auf der Türschwelle ihres kleinen Hauses in der Nähe des Campiello Stella. Vor mehr als 85 Jahre ist sie in Venedig geboren und hat ihr gesamtes Leben in der Lagunenstadt verbracht. Fast immer trägt sie ein Lächeln im Gesicht. Jetzt aber sagt Wilma Rosa:
Diese Zeit ist für mich sehr traurig, weil ich die Stadt so nie erlebt habe. Nicht einmal zur Zeit des Krieges, als ich ein kleines Kind war. Da gab es Sperrstunden, aber nur abends. So wie jetzt war es noch nie.
Venedig kehrt nach dem Corona-Lockdown erst langsam ins Leben zurück. Der beginnende Bootsverkehr hat das Wasser in den Kanälen zwar wieder eingetrübt. In den Gassen erinnert aber noch nichts an früher. Wo sich sonst im Frühjahr Massen von Touristen drängen, sind die Einheimischen unter sich.
Viele leben von Touristen
Venedig ohne Touristen - für Riccardo Volpe mit seiner Osteria in der Nähe des Campo Santi Apostoli existenzbedrohend.
Die Situation ist ziemlich ernst. Die meisten von uns leben von den Touristen. Und Touristen gibt es hier zurzeit nicht.
Riccardo Volpe hat angesichts der noch bestehenden Anti-Corona-Vorschriften ein Angebot zum Mitnehmen improvisiert. Nur wenige Einheimische nutzen es. Manchmal gehen abends gerade mal drei, vier Gerichte über den Tisch.
Hotelbranche quasi ohne Geschäft
Komplett zusammengebrochen ist das Geschäft für die Hotelbranche in Venedig. Lorenza Lain, Chefin der Edelherberge Ca‘ Sagredo am Canale Grande, empfängt in ihrem derzeit leeren Hotel und berichtet:
100 Prozent der Buchungen sind annulliert worden. Der Umsatz in den Monaten März, April, Mai ist gleich Null. Alle Hotels hier sind geschlossen. Geschlossen, weil ausländische Touristen fehlen.
Die Rialtobrücke spiegelt sich im Canal Grande. Was sich derzeit immer noch nicht spiegelt, sind Touristen. Das soll sich bald ändern.
Die Stadt, die in den vergangenen Jahren immer wieder auch über den Tourismus als Bedrohung diskutiert hat, merkt in der Coronakrise schmerzhaft, wie abhängig sie vom Fremdenverkehr geworden ist. Rund zwei Milliarden Euro, schätzt die Kommune, gehen Venedig aufgrund der Coronakrise verloren, weil niemand mehr reisen darf. Hotel-Chefin Lain sagt über die vergangenen Monate in Venedig:
Unter wirtschaftlichem Gesichtspunkten ist es ein Desaster gewesen. Zunächst hatten wir das Hochwasser, schon da gab es weniger Touristen. Mit dem Karneval hatten wir gehofft, dass es wieder losgeht. Und mitten in den Neuanfang kam dann das Covid-Problem.
Mehr als jeder zweite Job vom Tourismus abhängig
Mehr als jeder zweite Job in der Stadt hängt mittlerweile am Tourismus. Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro hatte vor der Coronakrise versucht, mit Eintrittsgeldern für Tagesgäste den Massentourismus zu bändigen. Jetzt spricht er von Venedig als "sozialer Zeitbombe" und ruft über Facebook dazu auf, in die Lagunenstadt zu kommen, wann immer es wieder möglich sein wird.
Die gebürtige Venezianerin Wilma Rosa sagt mit ihren 85 Jahren Lebenserfahrung: "Wir alle leben vom Tourismus. Es stimmt, dass wir die Stadt derzeit auch mehr genießen. Aber es fehlt etwas. Ohne Touristen gibt es hier in Venedig keine Arbeit."
Riccardo Volpe, der Osteria-Besitzer, glaubt, nach den Grenzöffnungen werde es in Venedig nur langsam wieder losgehen. Weiterhin wenig Umsatz für ihn, sagt er schulterzuckend. Aber seine Augen leuchten, wenn er für einen Moment die wirtschaftlichen Schwierigkeiten vergisst und über das Venedig redet, dass die ersten Touristen dann erleben werden. "Venedig mit weniger Menschen ist auch sehr schön. Eine vielleicht einzigartige Chance, die Stadt so leer zu erleben. Die Schönheit gewinnt immer, oder? Und jetzt ist die Stadt wirklich wunderschön."