Schwere Unruhen im indischen Gebiet Brennende Wut in Kaschmir
Anfang Juli erschossen Sicherheitskräfte in Kaschmir den jungen Separatisten Burhan. Seitdem herrschen im indischen Teil der Region schwere Unruhen. Mehr als 50 Menschen wurden getötet.
Die Stimmung in Kaschmirs Hauptstadt Srinagar ist aufgepeitscht, die Schlachtrufe sind wütend. Erst sind es nur wenige, dann werden es immer mehr. Die Demonstranten, die sich nach dem Freitagsgebet versammeln, sind überwiegend männlich und jung, viele sind noch Kinder.
"Diese Menschen hier folgen nicht den Separatisten, sie folgen nicht der Regierung, sie folgen nicht der indischen Armee. Sie folgen nur ihrem Willen“, sagt ein junger Student, "Die Inder hissen ihre Flagge in Kaschmir wo immer sie wollen, aber niemals in unseren Herzen."
Konflikte zwischen Sicherheitskräften und Jugendlichen
Die Polizisten mit Helm und Schutzschild werden nervös und feuern ohne Vorwarnung mit Tränengas und ohrenbetäubenden Blendgranaten. Die Augen tränen, die Lunge brennt, die Orientierung schwindet.
Die Demonstranten rennen weg, einige stürzen, wenig später hagelt es Steine auf die Sicherheitskräfte. Die nehmen die Verfolgung auf. Ein Helikopter taucht am Himmel auf, um die Truppen unten zu dirigieren.
Solche Jagdszenen gehören seit dem 8. Juli zum Alltag im indischen Teil Kaschmirs. An diesem Tag erschossen Sicherheitskräfte Burhan Wani. Einen 22-jährigen Kämpfer, auf den die indischen Behörden wegen terroristischer Aktivitäten ein hohes Kopfgeld ausgesetzt hatten.
Ein Symbol für die Wut
Doch für die Jugendlichen in Kaschmir war Burhat Wani kein Terrorist, sondern ein Freiheitskämpfer, erklärt der kaschmirische Journalist Shujaat Bukhari.
"Burhan steht symbolisch für die Wut der jungen Generation. Er hat die Jugendlichen mit seinen Facebook-Videos für sich eingenommen", so der Journalist. "Wir sitzen hier in Kaschmir auf einem Vulkan. Es braucht nur einen Funken, um ihn zum Ausbruch zu bringen. Burhan war dieser Funke.“
Kaschmir - seit 1947 geteilt
Die Gewalt, die nach Burhan Wanis Tod ausgebrochen ist, fügt der tragischen Geschichte Kaschmirs ein weiteres blutiges Kapitel hinzu.
Das früher unabhängige Fürstentum in der Himalaya-Region ist seit 1947 geteilt. Damals zerfiel das britische Kolonialreich. Mit Indien und Pakistan entstanden zwei Staaten, die sich bis heute feindlich gegenüberstehen und das muslimisch geprägte Kaschmir jeweils ganz für sich beanspruchen.
Auch China hat sich einen kleinen Teil einverleibt. Kaschmir gehört heute zu den am stärksten militarisierten Gebieten der Welt.
Dutzende Demonstranten erblinden
Im größten staatlichen Krankenhaus in Srinagar kämpft Mubashir um sein Augenlicht. In seinem Gesicht sind kleine Kugeln eingeschlagen, abgeschossen aus den Pelletgewehren der paramilitärischen indischen Polizisten, die die Unruhen eindämmen sollen.
Vermutlich wird Mubashir erblinden wie dutzende andere junge Demonstranten. Er hat Steine geworfen, andere greifen auch mit Molotow-Cocktails und brennenden Reifen an. "Unsere Kinder sterben. Sie sind unschuldig. Das muss aufhören, die Regierung muss das stoppen", fleht Mubashirs verzweifelte Mutter, die an seinem Bett Wache hält.
"Warum lassen die Eltern das zu? Wo sind die Älteren? Wo ist die Zivilgesellschaft, warum gibt es dieses Vakuum?", fragt sich Kommandant Rajesh Yadav, der Sprecher der paramilitärischen Polizei-Einheiten, die in Kaschmir stationiert sind.
Separatistische Parteien haben Generalstreik angeordnet
Das Leben steht still – bis zur nächsten gewaltsamen Demonstration. Die Behörden haben eine Ausgangssperre verhängt und die Anführer der separatistischen Parteien haben einen Generalstreik angeordnet. Die Separatisten leben in Srinagar unter Hausarrest in prächtigen Villen.
Der Straßenkampf wird von Jugendlichen und Kindern ausgefochten. Indien beschuldigt Pakistan, die jugendlichen Straßenkämpfer zu bezahlen. In Pakistan gibt es viele extremistische Gruppen, die vorgeben, das muslimische Kaschmir von der Fremdherrschaft Indiens befreien zu wollen.
"Indien benutzt unser Land, ohne uns Menschen zu wollen"
Ein junger Student, dessen Universität wegen der Unruhen geschlossen ist, sagt: "Wir fühlen uns eingesperrt. Wie im Käfig. Indien benutzt unser Land, ohne uns Menschen zu wollen. Indien will seine Grenzen sichern und verhindern, dass Leute aus Pakistan einsickern oder China einmarschiert."
Der Student wirft keine Steine und wird doch von der Gewalt zerrieben. Er wünscht sich, wenigstens die Chance zu haben, sich auf eigenem Boden frei bewegen zu können: "Wann immer ich das Haus verlasse, um etwas einzukaufen, muss ich an Bewaffneten vorbei. Wir fühlen uns bedroht", sagt der angehende Ingenieur.
Eine politische Lösung ist nicht in Sicht
Fast 70 Jahre nach der Teilung Kaschmirs ist eine politische Lösung nicht in Sicht. Es gibt keine politischen Gespräche zwischen Indien und Pakistan. Und es gibt keine politischen Gespräche zwischen den Separatisten im indischen Teil und der indischen Regierung.
Zwar sickern heute weniger Kämpfer aus dem pakistanischen Teil Kaschmirs in den indischen ein. Doch stattdessen entscheiden sich im indischen Teil selber immer mehr junge Kaschmiris für den bewaffneten Kampf, so wie Burhan Wani.