Studentinnen in Afghanistan Gehen oder bleiben?
Während Deutschland und andere EU-Länder bis zu 80.000 geflohene Afghanen in ihr Heimatland zurückzuschicken wollen, überlegen junge Menschen in Afghanistan, ob sie ausreisen sollen.
Alle Blutspuren sind weggewischt. Der berühmte Kart-e-Sakhi-Schrein im Westen Kabuls, ganz in der Nähe der Universität, ist voller Leben. Nichts deutet mehr auf das Blutbad vom 11. Oktober hin, als ein Angreifer auf das Gelände stürmte und mindestens 14 Menschen erschoss, bevor er selber von Kugeln getroffen wurde.
Afghanische Polizisten patrouillieren nach dem Anschlag vor dem Tatort nahe der Moschee, in der schiitische Pilger bei dem Angriff starben.
Wenn es dem Attentäter gelungen wäre, seine Sprengstoffweste zu zünden, hätte er noch mehr Menschen mit in den Tod gerissen. Der selbsternannte "Islamische Staat" bekannte sich zu dem Anschlag. Heute bummelt eine Gruppe junger Studentinnen über den großen Platz vor der Grabstätte.
Keine Angst trotz Anschlag
"Wir sind hier, um unser Leben zu genießen", sagen die fünf jungen Frauen. Sie kommen oft nach der Uni zum prächtigen Schrein, dessen kunstvolle Mosaike und Rundkuppeln in der abendlichen Wintersonne türkis schimmern. Kart-e-Sakhi ist einer der wenigen öffentlichen Plätze in Kabul, an dem junge Frauen ein paar Stunden draußen im Freien verbringen können.
Auf die Frage, ob sie keine Angst haben nach dem blutigen Anschlag, antworten sie lachend mit "Nein". Ihr Atem dampft in der Kälte. "In Afghanistan sprengt sich doch jeden Tag irgendwo einer in die Luft."
Auf Veränderung hoffen?
Die fünf Freundinnen sind zwischen 18 und 22 Jahre alt. Sie studieren Informatik, Soziologie, Geographie und Ingenieurwissenschaft. "Wenn ich meinen Kurs beendet habe, will ich Afghanistan unbedingt verlassen, ich will am liebsten nach Deutschland, das ist mein allergrößter Wunsch", gibt eine angehende Informatikerin an.
Ihre Freundin fällt ihr ins Wort: "Mein größter Wunsch ist es, mein eigenes Land zu verbessern und zu bleiben." Weiter kommt sie nicht. "Afghanistan wird sich niemals verändern, du Träumerin, es wird jeden Tag schlechter", kontert die Deutschland-Liebhaberin." "Das behauptest Du! Du lügst. Wir können uns ändern, wenn wir hart arbeiten", legt ihre Freundin nach.
Fortschritt - aber kein Frieden
Die hitzige Diskussion spielt sich in aller Öffentlichkeit auf dem großen Platz vor dem Kart-e-Sakhi-Schrein in Kabul ab. Vor 15 Jahren, unter dem Taliban-Regime, wäre das unmöglich gewesen. Keine der fünf jungen Frauen hätte damals an der Universität studieren können.
Es gibt Fortschritt. Doch Sicherheit und Frieden hat Afghanistan durch den US-geführten Einmarsch nicht gefunden. Selbst in der Hauptstadt Kabul gehört der Terror zum Alltag. Die Zahl der zivilen Opfer steigt mit jedem Jahr. Fast zwei Millionen Menschen sind im eigenen Land auf der Flucht.
Die Flucht geht weiter
Die Nachbarländer Pakistan und Iran schieben seit Wochen massiv Afghanen ab - mehrere Tausend am Tag. Die afghanische Wirtschaft ist nach dem Abzug von mehr als 100.000 internationalen Soldaten eingebrochen. Im vergangenen Jahr sind deswegen rund 200.000 überwiegend junge Afghanen Richtung Europa geflohen.
In diesem Jahr ist die Zahl deutlich zurückgegangen, weil die Balkan-Route geschlossen ist und viele Menschen in der Türkei stranden. Dennoch haben zwischen Januar und September fast 41.000 Afghanen die griechische Küste erreicht. Drei der fünf Mädchen vom Kart-e-Sakhi-Schrein in Kabul träumen davon, sich auf den gefährlichen Weg zu machen.