Unabhängigkeit Kataloniens Wird Puigdemont es wagen?
Mit größter Spannung erwarten Beobachter die Rede des Chefs der katalanischen Regionalregierung, Puigdemont - wird er die Unabhängigkeit proklamieren? Sollte er das tun, hätte das auch für die EU weitreichende Folgen.
Von Karin Bensch, ARD-Studio Brüssel
Wird der Chef der katalanischen Regionalregierung heute Abend in Barcelona das tun, was er eigentlich tun will: die Unabhängigkeit Kataloniens verkünden? Sollte Carles Puigdemont es tatsächlich tun, wäre das ein Paukenschlag. Und hätte weitreichende Folgen für Katalonien in Europa.
Im EU-Vertrag steht zwar nicht eindeutig, was passiert, wenn sich ein Landesteil von einem Mitgliedsstaat abspaltet. Aber für die EU-Kommission ist klar, dass diese Region dann nicht mehr Mitglied der Europäischen Union wäre. So lege man den EU-Vertrag aus, sagte ein Kommissionssprecher.
Katalonien - ein "Drittstaat"?
Die Brüsseler Behörde leitet ihre Position aus der Prodi-Doktrin von 2004 ab. Der damalige italienische Kommissionspräsident Romano Prodi hatte erklärt, ein Gebiet, das sich von einem Mitgliedsland abspalte und unabhängig werde, sei dann "ein Drittstaat". Die europäischen Verträge würden "vom Tag seiner Unabhängigkeit an auf diesem Gebiet nicht mehr gelten". Hintergrund ist: Die Regionen sind als Teile ihrer Nationalstaaten der Europäischen Union beigetreten, also Katalonien als Teil von Spanien, und nicht als unabhängige Länder.
Raus aus der EU würde auch bedeuten: Raus aus dem Euro und dem europäischen Binnenmarkt. Katalonien hätte als unabhängiges Land auch keinen Anspruch mehr auf europäische Fördergelder, wie zum Beispiel Agrarsubventionen.
Puigdemont würde Katalonien mit einer Unabhängigkeitserklärung aus der EU führen.
Katalonien könnte zwar wieder EU-Mitglied werden. Allerdings nur dann, wenn es die Voraussetzungen dafür erfüllen würde, so wie das für jeden anderen Beitrittskandidaten gilt. Die katalanische Regionalregierung hat angekündigt, dass sie auch nach einer Unabhängigkeit jegliche EU-Gesetzgebung übernehmen würde, um möglichst schnell wieder der Europäischen Union beitreten zu können. Doch wie bald das gehen könnte, wäre wohl vor allem eine politische Entscheidung. Katalonien könne jedenfalls nicht gleich am nächsten Tag wieder EU-Mitglied werden, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Spanien kann Veto einlegen
Selbst, wenn Katalonien als unabhängiger Staat in Lichtgeschwindigkeit alle Beitrittskriterien erfüllen würde, gäbe es da noch eine große Hürde - und die heißt Spanien. Damit ein Land der EU neu beitreten kann, müssen das alle anderen Mitgliedstaaten einstimmig beschließen. Die spanische Zentralregierung könnte und würde höchstwahrscheinlich "Nein" sagen und könnte damit einen möglichen EU-Beitritt Kataloniens blockieren.
Vize-Kommissionschef Frans Timmermans erklärte: "Wir respektieren die spanische Verfassung." Und in dieser Verfassung steht ganz klar: Spanien ist ein unteilbares Land. Die EU-Kommission steht also auf der Seite der spanischen Zentralregierung, nicht auf der Seite der katalanischen Separatisten. Dass die Brüsseler Behörde, die sich sonst gern und in vieles einmischt, so auffallend zurückhaltend ist, legt die Vermutung nahe, dass sie verhindern will, dass Katalonien zu einem Präzedenzfall wird für andere Regionen in Europa, die sich ebenfalls abspalten wollen.