Nach erneutem Bootsunglück vor Lampedusa Hoffnung auf neue Flüchtlingspolitik
Bei einem neuen Schiffsunglück vor der italienischen Insel Lampedusa sind Dutzende Flüchtlinge ertrunken. Etwa 200 wurden gerettet. Die Rufe nach einer Änderung der EU-Flüchtlingspolitik werden lauter.
Von Jan-Christoph Kitzler, ARD-Hörfunkstudio Rom
Schon wieder werden die Toten gezählt, schon wieder ist ein Boot mit Migranten auf dem Weg nach Europa untergegangen. Etwa 30 Menschen sind diesmal offenbar ums Leben gekommen, unter ihnen wieder einmal Frauen und Kinder. Genauere Zahlen gibt es bislang noch nicht. Aber es gibt einen Unterschied zu dem Unglück, das in der vergangenen Woche für Fassungslosigkeit gesorgt hatte: Diesmal hat anscheinend der Großteil der Verunglückten überlebt.
Diesmal konnte die Mehrzahl der Flüchtlinge gerettetet werden...
Inzwischen weiß man auch mehr darüber, wie es dazu kam: Ein maltesisches Militärflugzeug hatte das Boot am Nachmittag entdeckt, etwa 65 Meilen südöstlich der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa. Die wahscheinlich über 250 Menschen an Bord wurden offenbar unruhig. Beim Versuch, auf sich aufmerksam zu machen, bekam ihr Boot Schlagseite, kenterte und ging unter.
Etwa 200 Menschen konnten gerettet werden - unter anderem auch, weil zwei italienische Marineschiffe in der Nähe waren und sofort zu Hilfe kommen konnten. Sie hatten Hubschrauber an Bord, von denen Rettungsinseln und Rettungswesten abgeworfen wurden.
Zudem kamen weitere Schiffe schnell an den Unglücksort. So konnte ein Schiff aus Malta allein rund 150 Menschen aufnehmen. Bei dieser Rettungsaktion haben maltesische und italienische Kräfte offenbar gut zusammen gearbeitet - das war auch schon mal anders.
Auch nach diesem Unglück waren wieder viele Stimmen zu hören, die eine neue Flüchtlings- und Migrationspolitik wollen: Sie fordern europäische Lösungen, die diesen Namen auch wirklich verdienen. So appeliert Andrea Pettini vom italienischen Roten Kreuz: "Wir sprechen hier von Menschen, die aus Kriegsszenarien fliehen, um ihr Leben zu retten."
Es gehe nicht um Arbeitsmöglichkeiten, sondern um die Suche nach einer Möglichkeit zum Leben. "Und wenn wir das als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen, dann ist das traurig." Er fordert deshalb die Öffnung einen humanitären Korridors. Dies sei nicht mehr nur eine Notwendigkeit, sondern eine Frage der Menschlichkeit.
...doch die Särge der vergangenen Katastrophe sind noch immer da
Und während das ganze Ausmaß dieses Unglücks wohl erst im Laufe des Wochenendes klar wird, ist Lampedusa immer noch mit der Aufarbeitung der letzten Katastrophe beschäftigt. Auch gestern wurden wieder Leichen geborgen, die immer noch vorläufige Zahl der Todesopfer des Unglücks vor acht Tagen stieg damit auf 339.
Lampedusas Bürgermeisterin Giusi Nicolini zeigte sich angesichts der neuen Katastrophe zerknirscht. "Das ist für uns normal", sagte sie. Solche Bootsunglücke seien sehr häufig und oft gebe es davon keine Nachrichten.
Die kleine Mittelmeerinsel Lampedusa nimmt in diesen Wochen nicht nur mehr Flüchtlinge auf als sie verkraften kann. Es sind auch zu viele Tote. Die ersten der Särge, die bis jetzt in einem Hangar auf dem Flughafen aufgestellt waren, werden an diesem Samstag abtransportiert. Italiens Regierungschef Enrico Letta hat für die Todesopfer ein Staatsbegräbnis versprochen.
Zusammen mit Joseph Muscat, seinem Amtskollegen aus Malta, hofft er auf mehr Einigkeit und mehr gemeinsame Anstrengungen in Europa. Beide haben miteinander telefoniert und wollen das Thema beim nächsten EU-Gipfel Ende Oktober in Brüssel ganz nach oben auf die Tagesordnung setzen. Italien und Malta machen sich also immer noch Hoffnungen auf eine Europäische Lösung.