'Ndrangheta Wie ein Ladenbesitzer der Mafia trotzt
Der Ladenbesitzer Bentivoglio hat etwas gemacht, das sich nur wenige trauen: Er hat sich mit der 'Ndrangheta angelegt. Mehrere Mafiosi mussten hinter Gitter: Doch der Preis, den er dafür bezahlte, war hoch.
Tiberio Bentivoglio hat einen schicken Laden. Er liegt im Zentrum von Reggio Calabria, nahe der Promenade am Meer. Er ist groß und frisch renoviert. Auffällig ist nur, dass davor rund um die Uhr schwer bewaffnete Soldaten stehen. Wenn Bentivoglio kommt, dann mit einem gepanzerten Auto, bewacht von zwei Carabinieri.
Das ist bitter nötig. "Sieben Mal wurde ein Anschlag auf mich verübt", sagt er. Einbrüche, Bomben, Brandanschläge. Sie hätten den Laden mehrmals zerstört, ob mit Sprengstoff oder Feuer. "Wir haben immer versucht, wieder aufzustehen." Immer habe man es auch geschafft. "Mit Tausenden Opfern und vielen Schulden."
Bentivoglio hat sich gewehrt
Dass es diesen neuen Laden gibt, ist eigentlich ein Wunder. Bentivoglio hat Hilfe von Antimafia-Organisationen bekommen, von der Politik und der Justiz. Im ganzen Land haben sie Spenden für ihn gesammelt. Als er das neue Geschäft vor ein paar Monaten eröffnete, kamen 500 bis 600 Menschen aus Solidarität.
Denn Bentivoglio hat etwas getan, was sich in Kalabrien nicht viele trauen: Er hat sich gegen die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia gewehrt. Doch ein Sieger ist er nicht, er hat einen hohen Preis dafür bezahlt.
Seine Anzeige, der erste Prozess, die erste Verurteilung von drei Mafiosi, hätten ihm fast das Leben gekostet: "Sie haben auf mich sechs Mal mit einer Pistole, Kaliber 7,65, geschossen", sagt er. Nur durch ein Wunder habe er überlebt. Eine Kugel ging durch sein rechtes Bein. Eine andere streifte seine Schulter. "Nach der Operation im Krankenhaus habe ich erfahren, dass es ein Mordversuch war." Denn eine Kugel steckte im Portemonnaie, das er an der Schulter trug. "Sie haben hoch gezielt, um mich umzubringen."
Erpressungen seit 1992
Die Leidensgeschichte von Bentivoglio dauert jetzt schon mehr als 14 Jahre. Seit Ende der 1970er-Jahre hatte er einen Laden für Kleinkindbedarf im Westen von Reggio Calabria, verkaufte Kinderbetten, Babykleidung, Windeln. Ab 1992 wurde es ungemütlich, als der Clan des Viertels die Schutzgelderpresser zu ihm schickte. Er jagte sie damals fort.
Es folgten Anschläge auf sein Geschäft und sein Lager. Und leider auch die Einsamkeit: "In dem Viertel, wo mein Geschäft war, habe ich die 'Ndrangheta angezeigt, aber auch Leute von der Kirche, von der Politik." Es folgte die Isolation. "Keiner kam mehr in den Laden, wir waren verzweifelt. Die einzige Lösung war wegzugehen."
Der Bitterkeit getrotzt
Aber lange hat er es noch dort ausgehalten, immer wieder den Laden eröffnet, seine Waren vor dem ausgebrannten Geschäft verkauft. Immer wieder ist Bentivoglio aufgestanden - bis zum Mordanschlag 2011.
Seitdem humpelt er. Aber sein Geschäft machte er an anderer Stelle wieder auf, trotz aller Bitterkeit: Fünfeinhalb Jahre voller Leiden seien es gewesen, sagt er. "Denn mit Leibwächtern zu leben, ist nicht leicht für einen normalen Menschen."
Er wollte einfach nur Händler sein, sagt er. Jetzt würde der Laden von Soldaten bewacht. "Der Staat hat es so gewollt, der Laden ist eine militärische Einrichtung."
Polizisten stehen in einem Eiscafé in der Duisburger Innenstadt. Ermittler in Deutschland, Italien, den Niederlanden und Belgien sind mit einer großangelegten Razzia gegen Mitglieder der italienischen Mafiaorganisation 'Ndrangheta vorgegangen.
Laden gehörte einst der 'Ndrangheta
Der schöne Laden, in dem er jetzt seine Kindersachen verkauft, gehörte früher einem Mitglied der 'Ndrangheta. Das soll ein Zeichen sein in einer Stadt wie Reggio Calabria, wo weit über die Hälfte der Ladenbesitzer das Schutzgeld an die Clans zahlen. Viel Ware hat er nicht - nachdem sie sein Lager in Brand streckten - mit 600.000 Euro Schaden.
Bentivoglio, der mit seiner Frau und seiner Tochter im Laden steht, sieht älter aus als 63 Jahre, und er ist sichtbar angeschlagen und müde. Denn in den letzten Jahren musste er sich nicht nur mit der wohl gefährlichsten Verbrecherorganisation Italiens auseinandersetzen.
"Wir sind müde und etwas mutlos", sagt er. "Wir haben unsere Pflicht getan und sind überzeugt, es richtig gemacht zu haben. So werden wir es wieder machen." Doch auf den Staat ist er nicht gut sprechen. Verfahren dauerten zu lange, ebenso die Bewilligung von Hilfsmaßnahmen. "Wir können nicht auch noch einen Staat bekämpfen, der nicht funktioniert."
"Wir haben Angst"
Dass der Laden läuft, dass Bentivoglio lebt, ist aber auch für ihn ein kleines Wunder: "Wir haben Angst, viel Angst. Mehr als alle anderen", sagt er. "Aber die Frage ist nicht, ob man Angst hat, oder nicht. Egal ob man Angst hat oder nicht, man muss weitermachen."
Er und sein Laden sind ein Zeichen. Dass man den Kampf gegen die 'Ndrangheta angehen kann, auch wenn er schwer ist. Und gleichzeitig zeigt seine Geschichte, dass dieser Kampf noch ein sehr weiter Weg ist. Bentivoglio sagt, Kalabrien und Italien seien viel zu schön, um sie der Mafia zu überlassen.