Literatur-Nobelpreis für Louise Glück "Man kann immer etwas aus Schmerz machen"
Für ihre "unverkennbare poetische Stimme" ist Louise Glück mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Aber wer ist die Frau hinter den Gedichten, die häufig von Schmerz, Tod und gescheiterten Beziehungen handeln?
"There’s always something to be made of pain" - "Es gibt immer etwas, das man aus Schmerz machen kann" - so optimistisch beginnt eines der frühen Gedichte von Louise Glück aus dem Jahr 1968. Was Schmerz bedeutet, wusste sie da bereits nur zu gut. Ihre Kindheit war überschattet vom Tod ihrer älteren Schwester. Zwar kam Louise Glück erst nach dem Unglück auf die Welt, 1943 in New York, doch die Trauer über den Verlust sei in ihrem Elternhaus allgegenwärtig gewesen. "Ihr Tod war der Grund, warum ich geboren wurde", beschreibt sie in ihrem Essay "Education of the poet" diese Einsamkeit in ihrer Kindheit, die Erinnerung an den Kampf um Aufmerksamkeit.
Dieser Kampf machte sie krank: Glück litt als Jugendliche unter Magersucht, war sieben Jahre lang in Therapie. Aber: "Es gibt immer etwas, das man aus Schmerz machen kann" - für Glück waren dies Gedichte. In "Dedication to Hunger" schreibt sie über ihre Krankheit als "Angst vor dem Tod, der seine Form in der Anbetung des Hungers findet".
Unverarbeitete Beziehung zur eigenen Mutter
"Firstborn” - "Erstgeborene”, ihr erster Gedichtband, erschien 1968. Die Auseinandersetzung mit ihrem Körper und - vor allem - mit ihrer Mutter waren die zentralen Themen, erzählt aus der Ich-Perspektive. Das Buch fand in Fachkreisen einige Beachtung, doch der Durchbruch gelang Louise Glück erst 1975, mit der Sammlung "The House on Marshland". Zwei Jahre zuvor war sie selbst Mutter geworden.
Der neue Blick auf Elternschaft und die noch immer unverarbeitete Beziehung zu ihrer eigenen Mutter zeigt sich hier besonders deutlich in dem Gedicht "Brown Circles". Sie könne ihren Sohn nicht so lieben, wie es sich gehört, schreibt Glück darin, sondern betrachte ihn wie eine Wissenschaftlerin eine Blume, mit einer Lupe, die braune Kreise in die Blüte brennt. Genau so sei sie von ihrer Mutter geliebt worden: "Ich muss lernen, meiner Mutter zu vergeben, da ich jetzt zu hilflos bin, um meinen Sohn zu retten."
Lyrische Auseinandersetzung mit dem eigenen Schmerz
Die Hilflosigkeit gegenüber dem Schicksal hat Louise Glück auch im späteren Leben erfahren. Ihr Haus in Vermont brannte ab, ihr Vater starb. Auch aus diesem Schmerz machte sie einen Gedichtband: "Ararat". Diese jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem eigenen Schmerz, das Gefühl des Gefangenseins im eigenen Körper, das sie besonders schön in dem Gedicht "Crossroads" beschreibt, machen die Gedichte von Louise Glück so intensiv.
Ihre Verse handeln von Tod, Traumata, gescheiterten Beziehungen, etwa in der wunderschönen modernisierten Nacherzählung der Geschichte von Persephone, die unter dem Titel "Averno" auch auf Deutsch erschienen ist. Für ihr Werk erhielt sie zahlreiche Preise, etwa 1993 den Pulitzer Preis für Dichtung und 2014 den "National Book Award".
Glücks Gedichte handeln oft vom Alltäglichen
Ihre Gedichte zeichnen sich dabei durch eine einfache Sprache aus. Man denkt, dass Dichter oft in Fremdworte verliebt seien, schreibt sie in "Education of the poet". Bei ihr sei das nicht der Fall. Sie erzählt stattdessen vom Alltäglichen, ihre Gedichte tragen Titel wie "Children coming home from school" - "Kinder kommen von der Schule nach Hause".
Dabei verzichtet Glück nicht nur auf Fremdworte, sondern auch auf große Emotionen. Stattdessen klingt ihr Tonfall nüchtern, fast steril, wenn sie etwa in einem ihrer bekanntesten Gedichte "The drowned children" von den "ertrunkenen Kindern" schreibt:
You see, they have no judgment
So it is natural that they should drown
First the ice taking them in
And then, all winter, their wool scarves
Floating behind them as they sink
Until at last they are quiet
And the pond lifts them in its manifold dark arms
Schmerz und Leid gehören zum Leben dazu, man muss aber lernen, mit ihnen umzugehen. Das ist eine der Kernbotschaften im Werk von Louise Glück. Denn wenn wir uns nicht mehr vom Schicksal anderer berühren lassen, hören wir auf, Menschen zu sein. Oder, wie es Louise Glück in ihrem Gedicht "First Memory" beschreibt: "Schon in frühester Kindheit dachte ich, dass Schmerz bedeutet, ich würde nicht geliebt. Er bedeutete: Ich liebe."
From the beginning of time
In childhood, I thought
That pain meant
I was not loved.
It meant I loved.