Reaktionen auf Brexit-Rede Was May will, "wird nicht funktionieren"
Theresa Mays Paukenschlag - Freihandelsabkommen statt Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt - hat Brüssel aufhorchen lassen. Traurig, trotzend, mahnend sind die Reaktionen auf die Brexit-Rede. Aber immerhin herrsche jetzt Klarheit.
Von Kai Küstner, ARD-Studio Brüssel
Es sieht so aus, als würde die britische Insel doch weiter vom europäischen Festland wegdriften, als so mancher erwartet hatte: Das Vereinigte Königreich strebt den "klaren Bruch" mit der EU an - so jedenfalls wollte Premierministerin Theresa May ihre lang erwartete Rede verstanden wissen.
Und genau so hat sie auch der Vorsitzende der Europa-SPD, der EU-Parlamentarier Jens Geier, aufgenommen: "Wir haben gelernt, dass die Briten den aller härtesten Brexit haben wollen, den man sich so vorstellen kann."
Um die Einwanderung aus der Europäischen Union kontrollieren zu können, will May also die Mitgliedschaft im begehrten EU-Binnenmarkt opfern. Stattdessen kündigte sie an, ein Freihandelsabkommen mit Europa aushandeln zu wollen.
Mindestens fünf Jahre bis zum Freihandelsabkommen
"Das zu erreichen, ist bis 2019, bis zum angepeilten Austritt, völlig unmöglich. Das ist mindestens ein Fünf-Jahres-Projekt. In der Zwischenzeit fällt das Königreich in seinen Beziehungen zur EU auf einen Standard zurück, der hinter dem der Schweiz oder der Türkei liegt", warnt der Sozialdemokrat Geier im ARD-Hörfunk-Interview.
Der EU-Parlamentarier und Großbritannien-Kenner David McAllister von der CDU begrüßt, dass es nun immerhin endlich Klarheit gebe, wohin London steuere. Er betont aber auch, dass es keinerlei Verhandlungen geben werde, bevor nicht die britische Regierung das Austrittsgesuch offiziell eingereicht habe, was sie bis Ende März tun will: "Wichtig ist auch, dass die EU beieinander bleibt, dass alle 27 Mitgliedsstaaten an einem Strang ziehen und auch die drei EU-Institutionen eng zusammenarbeiten."
"Das wird nicht funktionieren"
Wer die Spitzen eben dieser drei EU-Institutionen befragt, der stellt fest, dass die kurz nach Mays Brexit-Rede bislang selbst noch nicht wirklich redselig sind.
Einzig Martin Schulz - in einer Art letzter Amtshandlung als Parlamentspräsident - wagt sich vor ein Mikrofon der ARD und kommentiert den britischen Wunsch, den EU-Binnenmarkt zu verlassen, aber irgendwie doch Zugang zu ihm haben zu wollen:
Großbritannien tritt aus der EU aus, will aber im Kernbereich der EU drinbleiben - das wird nicht funktionieren. Und warum wollen sie drinbleiben? Weil sie genau wissen: Der Binnenmarkt ist die große Stärke auch der britischen Volkswirtschaft.
"Trauriger Vorgang, surreale Zeiten"
Per Twitter meldete sich dagegen EU-Ratspräsident Donald Tusk zu Wort: "Trauriger Vorgang, surreale Zeiten, aber immerhin eine realistischere Ankündigung zum Brexit." Seine Kernbotschaft an die Briten lautet: "Die 27 EU-Staaten sind vereint und bereit zum Verhandeln nach Artikel 50."
Gut gerüstet für die anstehenden Scheidungsgespräche sieht die EU auch der CDU-Abgeordnete David McAllister. Was EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker angeht, so ließ der lediglich über seinen Chefsprecher ausrichten, er habe sich "mit Interesse" über die Rede von Theresa May unterrichten lassen.
2017 - ein Härtetest für die EU?
Auch wenn die britische Brexit-Ansprache für mehr Klarheit sorgt - viele Fragen bleiben offen. Und viel Raum für Streit sowieso. Wie viel Zugang genau sollen die Briten zum Binnenmarkt bekommen? Wie viele Milliarden werden sie wie lange noch in den EU-Haushalt einzahlen? Wie hoch fällt der wirtschaftliche Schaden auf beiden Seiten aus? Und schließlich: Hält die EU beides auf einmal aus – einen harten Brexit in Kombination mit Donald Trump im Weißen Haus? 2017 werde, prophezeit nicht nur EU-Parlamentarier Jo Leinen, ein "Härtetest" für den Zusammenhalt der Europäischen Union.