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Interview

Analyse zu Nordkorea "Auch Kim ist kein Verrückter"

Stand: 09.08.2017 08:23 Uhr

Was ist von den neuen Drohungen aus Pjöngjang zu halten? Und was von den angeblichen entscheidenden Fortschritten im Atomprogramm? Diktator Kim will ernst genommen werden, meint ARD-Korrespondent Schwering. Vielleicht sei es sogar eine Art Hilferuf.

ARD-Morgenmagazin: Können Sie einschätzen, wie realistisch diese Drohung ist – oder ist das nur weiter Säbelrasseln?

Uwe Schwering: Nordkorea hat bislang sechs Atomtests durchgeführt - den letzten im vergangenen September. Das Land hat also die Bombe. Experten glauben, dass Nordkorea über genug Material verfügt, um 60 Bomben herzustellen. Es gibt andere Experten, die sagen: "Hoppla, nicht so schnell - es sind höchstens 20 bis 25 Bomben."

Aber zum Vergleich: Die USA verfügen über insgesamt 6800 Atomsprengköpfe. Einen Atomkrieg kann Nordkorea also nicht gewinnen.

Die Probleme bisher mit den Langstreckenraketen oder den Raketen schlechthin in Nordkorea waren technologische. Ist das Land überhaupt im Stande, eine solche Rakete herzustellen, die 10.000 Kilometer weit fliegt? Und das zweite Problem: Kann es Atomsprengköpfe herstellen, die so klein sind - miniaturisiert -, dass sie sich in eine Rakete implementieren lassen?

Und jetzt kamen zwei Geheimdienstberichte raus - unabhängig voneinander, vielleicht auch abgestimmt, man weiß das nicht -, der eine aus den USA, der andere aus Japan, in denen es heißt, nun sei Nordkorea in der Lage, diese miniaturisierten Sprengköpfe herzustellen. Für mich lässt sich das nicht überprüfen.

Es bleiben dann trotzdem zwei Fragen: Überleben diese Raketen eigentlich den Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, nachdem sie gestartet sind? Und das Zweite ist: Handelt es sich bei diesen Langstreckenraketen tatsächlich auch um Präzisionswaffen, die nach mehreren tausend Kilometern auch ihr Ziel treffen? Fazit ist also: Selbst wenn Nordkorea über Atomwaffen verfügt - ein ausgereiftes Programm ist das noch nicht.

ARD-Morgenmagazin: Sie sind ja in der Region. Wie ernst wird denn da die Gefahr eines Atomkriegs gesehen?

Schwering: Ich kann an einen Atomkrieg nicht glauben. Heute ist in Nagasaki der Jahrestag des Atombombenabwurfs von 1945. Niemand auf dieser Welt möchte, dass das noch einmal passiert.

Auch Kim Jong Un ist kein Verrückter. Er weiß genau, was er tut: Das Atomwaffenprogramm ist seine Lebensversicherung, weil er weiß, dass niemand einen Atomkrieg will. Was er will: Er möchte als Führer eines Atomstaates angesehen werden, und er möchte, dass man ihn am Verhandlungstisch gleichberechtigt behandelt. Insofern werte ich dieses ganze Säbelrasseln einfach als ein Gesprächsangebot, vielleicht sogar als einen Hilfeschrei: "Leute redet endlich mit uns, damit das aufhört!"

Denn bei all den Sanktionen wissen wir auch: Es wird für Nordkorea zusehends schwieriger, dieses Atomwaffenprogramm zu finanzieren. Das kann sich dann möglicherweise auch gegen Kim richten, wenn er dann Schwäche zeigt.

Ich denke, die globale Einschätzung ist: Nordkorea und Atomwaffen - das ist möglicherweise nicht mehr zu verhindern. Aber da jetzt auch die letzte verbale Eskalationsstufe zwischen Kim Jong Un und Trump erreicht ist, kommt möglicherweise jetzt die Stunde der Diplomaten.

Das Interview führte Uwe Schwering, ARD Tokio

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das ARD-Morgenmagazin am 09. August 2017 um 06:20 Uhr.