Zweitklassige Ware im Osten? "Nutella-Konflikt" verschärft sich
Ist Nutella im Westen schokoladiger als im Osten Europas? Steckt in polnischen Leibniz-Keksen weniger Butter als in deutschen? Das behaupten die Visegrad-Staaten. Sie drohen und fordern die EU-Kommission zum Handeln auf.
Das Thema Lebensmittelungleichheit entwickle sich zu einem riesigen Skandal, sagte der slowakische Regierungschef Robert Fico vor der EU-Kommission. Um zu demonstrieren, was er meinte, hatte Fico drei Verkaufsklassiker auf einem Beistelltisch neben seinem Rednerpult drapiert: Zwei Packungen Jacobs-Kaffee, zwei Waschmittelflaschen der Marke Lenor und zwei Packungen IGLO-Fischstäbchen.
Sorgsam verglich Fico Preise, Grammzahlen und Inhaltsstoffe. Denn die auf den ersten Blick identischen Produkte waren zwar am selben Tag, aber an an zwei unterschiedlichen Orten gekauft worden: In der niederösterreichischen Kleinstadt Hainburg an der Donau. Und in der slowakischen Hauptstadt Bratislava. In allen drei Fällen erhalte der österreichische Verbraucher mehr Inhalt und zum Teil bessere Qualität für weniger Geld, behauptete Warentester Fico.
So kosteten 990 Milliliter Lenor im österreichischen Hainburg nur 1,99 Euro. 2,29 Euro hingegen muss der slowakische Kunde bezahlen - obwohl die Flasche 60 Milliliter weniger Waschmittel enthält. Auch bei den Fischstäbchen werde Österreich bevorzugt. Mit 65 Prozent Fischfleisch im Vergleich zu nur 58 Prozent in der slowakischen Packung. Und auch beim Kaffee werde der slowakische Kunde benachteiligt, weil er zum selben Preis 28 Gramm weniger erhalte als der österreichische Nachbar. "Dieses Thema entwickelt sich zu einem riesigen Skandal", sagte Fico.
Friedlich schmurgelt das Fischstäbchen in der Pfanne. Doch wird es auch überall in der selben Qualität ausgeliefert?
Fico droht mit Boykott
Er sei sich bewusst, dass die Slowakei mit Strafmaßnahmen gegen ausländische Firmen EU-Wettbewerbsregeln verletzen würde, räumte Fico ein. Falls die EU-Kommission aber nicht entschlossener gegen unterschiedliche Qualitätsstandards vorgehe, sehe man sich zu einem Boykott gezwungen.
Heute wollen die Regierungschefs der vier Visegrad-Staaten Slowakei, Tschechien, Ungarn und Polen ihr weiteres Vorgehen beraten. Dabei soll auch die Möglichkeit einer EU-Bürgerinitiative erörtert werden. Nutella schmecke in Österreich schokoladiger behauptet die ungarische Lebensmittelbehörde. Und in polnischen Leibniz-Keksen wies ein Labor weniger Butter nach als in deutschen. Der sogenannte "Lebensmittelrassismus" , den die polnische Wirtschaftszeitung Gazeta Prawna anprangert, beschäftigte bereits den EU-Gipfel im März.
Angela Merkels Konzept einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten wird von den Visegrad-Staaten zwar akzeptiert. Ein von multinationalen Konzernen propagiertes Europa der angeblich unterschiedlichen Geschmacksnerven und Käufererwartungen hingegen nicht. Damit aber argumentieren internationale Lebensmittelkonzerne, wenn sie mit dem Ost-West-Unterschied konfrontiert werden: Geschmäcker seien eben unterschiedlich - und deshalb auch die Zusammensetzung einiger Produkte.