Piraterie vor Somalia Die modernen Piraten
Drei Monate ist die "Hansa Stavanger" in der Gewalt somalischer Piraten. Per E-Mail beschrieb der Kapitän nun die katastrophale Lage der Besatzung. Viele seien krank und ohne Medikamente. Und der Psycho-Terror der Piraten trifft noch etliche andere Schiffe.
Von Antje Diekhans, ARD-Hörfunkstudio Nairobi
Es ist der Albtraum jeder Reederei: Am Telefon meldet sich ein Sprecher somalischer Piraten und teilt mit, ein Frachter sei entführt worden und es müsse nun über Lösegeld verhandelt werden. Fast 40 Mal ist das in diesem Jahr schon passiert. Meist dauert es Wochen, bis sich Reederei und Piraten über die Lösegeldsumme einigen. So lange steht die Besatzung an Bord Todesängste aus, leidet Hunger und Durst.
So erlebt es im Moment auch die Mannschaft auf dem deutschen Frachter "Hansa Stavanger". 24 Seeleute befinden sich an Bord des Schiffes, fünf von ihnen sind aus Deutschland. Das Schiff einer Hamburger Reederei wurde Anfang April, vor drei Monaten, gekapert.
Katastrophale Lage für entführte Seeleute
Der Kapitän der "Hansa Stavanger" schilderte nun in einer E-Mail die Lage an Bord. Demnach sind viele Besatzungsmitglieder krank, Medikamente bekämen sie nicht. Die langwierigen Lösegeld-Verhandlungen machen die Piraten offenbar nervös und aggressiv. Einmal sollen sie den Gefangenen die Augen verklebt und knapp an ihnen vorbei geschossen haben.
Der Vorsitzende des ostafrikanischen Seefahrer-Hilfsprogramms, Andrew Mwangura, kennt diesen Psychoterror aus den Berichten entführter Seeleute: "Sie müssen immer auf dem Boden schlafen, manchmal schlafen sie auch gar nicht. Und es gibt kaum etwas zu essen."
Zurzeit sind insgesamt etwa 15 Schiffe in der Hand somalischer Piraten. Die Zahl kann sich schnell wieder ändern, denn fast täglich kommt es zu neuen Angriffen. Zu den entführten Frachtern gehört neben der "Hansa Stavanger" ein weiteres deutsches Schiff. Die "Victoria" fährt unter der Flagge des Karibikstaats Antigua und Barbuda und die Besatzung kommt aus Rumänien.
"Die gefährlichste Wasserstraße der Welt"
Nach Erkenntnissen des "internationalen Schifffahrtsbüros" haben die Überfälle vor Ostafrika in den vergangenen Monaten zugenommen, obwohl die Anti-Piraten-Einsätze verstärkt wurden. Der Direktor des Büros, Pottengal Mukundan, spricht schon lange von der gefährlichsten Wasserstraße der Welt, auch weil sie kaum zu kontrollieren sei: "Es ist ein riesiges Gebiet, und selbst wenn die Marineschiffe jetzt ständig im Einsatz wären, wäre das immer noch nicht genug, um jeden Angriff zu verhindern."
Auch Deutschland beteiligt sich an der EU-geführten Atalanta-Mission. Diese soll die Piraten abschrecken und bekämpfen. Erst im Juni stimmte der Bundestag zu, das Operationsgebiet der deutschen Marine auszuweiten. Fünf Millionen Quadratkilometer umfasst es jetzt und zieht sich von der somalischen Küste bis zur Inselgruppe der Seychellen. Kritiker sagen, der Einsatz sei in etwa so erfolgversprechend, als wolle man in ganz Deutschland Feuer mit einem Löschzug bekämpfen.
Die Schiffseigner müssen das Lösegeld zahlen
Das Hauptproblem liegt aber sowieso an Land. Somalia ist ein Staat ohne Recht, Gesetz und Ordnung. In der Piraterie sehen viele die einzige Chance, irgendwie zu überleben. Sie lassen sich auch nicht davon abschrecken, wenn einzelne Piraten gefasst und vor Gericht gestellt werden.
Für die Reedereien, deren Schiffe entführt wurden, bedeutet diese gesetzlose Situation, dass ihnen nicht anderes übrig bleibt, als sich auf die Forderungen der Piraten einzulassen. "Wenn die Schiffe erst mal nach Somalia gebracht wurden, gibt es keine Regierung oder andere Behörde, die den Reedereien helfen könnte", erklärt Mukundan. "Die Schiffseigner wollen kein Lösegeld zahlen. Aber unter diesen Bedingungen gibt es für sie keine andere Möglichkeit."
Die Entführer des deutschen Frachters "Hansa Stavanger" sollen sich vergangene Woche wieder bei der Reederei gemeldet haben, nachdem sie zuvor wochenlang nichts von sich hören ließen. Jetzt sollen sie etwa drei Millionen US-Dollar Lösegeld verlangen, um das Schiff mit 24 erschöpften und hungernden Seeleuten an Bord freizugeben.