85. Jahrestag Gedenken an deutschen Überfall auf Polen
Am 1. September 1939 begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Zum 85. Jahrestag gedachten Politiker in beiden Ländern der Opfer. Polens Ministerpräsident Tusk warnte mit Blick auf den Ukraine-Krieg vor aktuellen Bedrohungen.
85 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen haben beide Länder der Opfer des Zweiten Weltkriegs und der NS-Verbrechen gedacht. Auf der Westerplatte an der polnischen Ostseeküste erinnerte Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Morgen an den Angriff eines deutschen Kriegsschiffs auf eine polnische Befestigungsanlage am 1. September 1939.
Der Regierungschef nutzte seine Rede auch, um vor der Bedrohung durch den Ukraine-Krieg zu warnen. Die Lektionen, die der Zweite Weltkrieg gelehrt habe, seien "nichts Abstraktes", sagte er. Die Mitglieder der NATO müssten "sich vollständig der Verteidigung gegen die Aggression" widmen, die man in der Ukraine beobachte.
"Heute sagen wir nicht: 'Nie wieder Krieg'", sagte Tusk. "Heute müssen wir sagen: 'Nie wieder Einsamkeit'. Es darf in der Geschichte nie mehr vorkommen, dass Polen der Aggression des einen oder anderen Nachbarn allein die Stirn bietet." Deshalb modernisiere Polen seine Armee und setze auf EU und NATO.
Duda erneuert Forderung nach Reparationen
In Wieluń, wo vor 85 Jahren die ersten deutschen Bomben fielen, sagte der polnische Präsident Andrzej Duda, einfache "Entschuldigungen" Deutschlands für die an Polen begangenen Verbrechen seien nicht genug. Die Frage der Reparationen sei weiterhin "nicht geregelt", fügte der Politiker hinzu, der der nationalkonservativen PiS-Partei nahesteht. Diese hatte in ihrer Regierungszeit deutsche Reparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro für die Zerstörungen durch Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg gefordert.
Tusks pro-europäische Regierung wiederholte diese Forderung nicht. Stattdessen verlangte sie von Berlin finanzielle Entschädigung für die Verluste, die das Land während des Zweiten Weltkriegs durch die Nazis erlitt.
Deutsch-Polnisches Haus in Berlin geplant
Bei deutsch-polnischen Regierungskonsultationen Anfang Juli hatten Berlin und Warschau mitgeteilt, dass in der deutschen Hauptstadt die Errichtung eines Deutsch-Polnisches Hauses geplant sei, das an die polnischen NS-Opfer erinnern solle. Beide Regierungen seien unter anderem bezüglich der Opferentschädigung und des Gedenkens im "intensiven Dialog".
Baerbock würdigt heutige Freundschaft
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock würdigte angesichts des Jahrestags die deutsch-polnische Freundschaft als große Errungenschaft. Mittlerweile sei es für Polen und Deutsche alltäglich, "eine gemeinsame Zukunft zu leben", sagte sie in Berlin bei einer Gedenkveranstaltung zum 85. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen laut Redemanuskript.
"Denn eine Zukunft - nicht gegeneinander, sondern miteinander - das ist uns Deutschen nicht zuletzt durch den Mut und die Vorstellungskraft unserer polnischen Nachbarinnen und Nachbarn eröffnet worden", betonte die Grünen-Politikerin auf dem Gelände der ehemaligen Kroll-Oper in Berlin, wo Adolf Hitler am Vormittag des 1. September 1939 eine Propaganda-Rede zum Überfall auf das Nachbarland gehalten hatte.
Sechs Jahre Besatzungs- und Gewaltherrschaft sowie Millionen Todesopfer waren die Folge des Überfalls. In Polen starben mehr als fünf Millionen Menschen - drei Millionen davon polnische Jüdinnen und Juden. "Fünf Millionen Leben, die keine Zukunft haben sollten, weil sie für viele Deutsche eben keine Menschen wie sie selbst waren", sagte Baerbock.
Angesichts der "unvorstellbaren Verbrechen, die Deutsche in Polen begangen haben", sei die heutige Freundschaft "alles andere als selbstverständlich", betonte die Ministerin. Deswegen sei es wichtig, sich die gemeinsame Geschichte immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. "Wir wissen: Diese Normalität ist ein Privileg. Sie wird uns immer kostbar sein."
"Wir dürfen das Leid Polens nicht vergessen"
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) mahnte, das Geschehene dürfe nicht in Vergessenheit geraten. "Wir dürfen die Verbrechen der deutschen Wehrmacht und das Leid Polens nicht vergessen, auch um unser selbst willen", erklärte sie. Daher sei eine "ehrliche Auseinandersetzung mit unserer gemeinsamen Geschichte" nötig. Dazu gehöre auch, immer wieder zu erklären, was zwischen 1939 und 1945 in Polen geschehen sei.
In Brandenburg riefen Ministerpräsident Dietmar Woidke und Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (beide SPD) zur stetigen Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus auf. Die sei eine historische Verpflichtung für eine Zukunft in Frieden, Freiheit und Respekt, betonten sie. Brandenburg stehe als unmittelbarer Nachbar Polens in einer "besonderen Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten und die Brücken der Verständigung, des Austauschs und der Zusammenarbeit zu festigen", erklärte Liedtke.
Der Angriff der deutschen Truppen auf Polen am 1. September 1939 veranlasste Großbritannien und Frankreich dazu, Hitler-Deutschland den Krieg zu erklären. Gemäß des Hitler-Stalin-Pakts marschierte auch die Sowjetunion am 17. September 1939 im Osten Polens ein.