Nach Schüssen an Prager Uni Kollektive Trauer und offene Fragen
Vier Wochen ist es her, dass ein Student an der Karls-Universität in Prag 14 Menschen erschoss. Die Gesellschaft ist tief verwundet - rückt aber auch zusammen. Und sie hat viele Fragen, auch was die politischen Folgen betrifft.
Sie wollten sich gegenseitig unterhaken und umarmen, aber gleichzeitig auch ihre Alma Mater. Die Rektorin der Karls-Universität Milena Kralickova war eine von vielen Hunderten Mitarbeitern, Studentinnen und Studenten und anderen Betroffenen oder Unterstützern, die eine mehrfache Menschenkette um das Hauptgebäude der Philosophischen Fakultät in Prag bildeten. Zwei Wochen nach der Bluttat an diesem Ort, zum Auftakt eines sogenannten "Monats für die Fakultät".
"Wir werden weiterleben und weiter studieren. Unsere akademische Gemeinde ist verletzt, aber nicht gebrochen. Und unsere Schritte durch die Straßen von Prag zur Philosophischen Fakultät symbolisieren auch unseren Weg zur Heilung", sagt die Rektorin Kralickova.
"Ich spüre die Solidarität der Gesellschaft"
Der Gedenkzug für die 14 Opfer der Schüsse vom 21. Dezember war am altehrwürdigen Karolinum gestartet, dem Hauptsitz der Karls-Universität, der ältesten in Mitteleuropa. Gegründet hat sie der spätere Kaiser Karl IV. im 14. Jahrhundert. Der Reformator Jan Hus war zeitweise Rektor, später spielte die Hochschule eine bedeutende Rolle für das nationale Erwachen Tschechiens.
"Wir Dozenten und Studenten sind uns sehr nahe", erzählt die Prodekanin Dana Bittnerova - obwohl gerade keine Vorlesungen stattfinden, denn es ist Prüfungszeit. "Manche sprechen nicht über den Anschlag, aber viele Lehrkräfte bieten Gespräche an. Auch die Solidarität der Gesellschaft spüre ich."
Vor dem Uni-Gebäude wurde ein Feuer entzündet, das Tag und Nacht bewacht wird. Auf dem Platz an der Moldau mit Blick auf die Prager Burg stehen mobile Container als Anlaufstelle für Betroffene. Die Abertausenden Kerzen haben Studentinnen und Studenten eigentlich eingesammelt. Sie sollen eingeschmolzen werden und in ein dauerhaftes Denkmal eingehen. Doch es kommen immer neue dazu, auch in der zurückliegenden Woche, in der wie jedes Jahr an den berühmtesten Studenten der Fakultät erinnert wurde, an Jan Palach. Vor 55 Jahren hat er sich selbst verbrannt - aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Sowjetunion und die folgende Lethargie.
Tätermotiv noch unklar
"Wir wollten Kerzen anzünden für die Opfer der Schüsse, so der Student Honza Hartmann. "Aber auch für Jan Palach. Seine Tat ist eine der wichtigsten unserer Geschichte. Daher ist es wichtig, hierherzukommen, obwohl dieser Ort jetzt auch mit dieser anderen Tragödie verbunden ist."
Das Motiv des Amokläufers ist noch unklar. Der Geschichtsstudent hatte vor der Bluttat an der Uni seinen Vater getötet, zwei Wochen davor außerdem einen Spaziergänger samt dessen Baby. Nach der Tat an der Karls-Universität tötete er sich selbst. Als die Polizei gewarnt wurde, dass er sich umbringen wolle, räumte sie das Uni-Gebäude, wo er eine Vorlesung hatte, nicht aber das Hauptgebäude, wo der junge Mann später das Feuer eröffnete.
Hätte die schreckliche Tat verhindert werden können? Das ist eine weitere offene Frage. Eine interne Kontrolle der Polizei stellte vorerst keine Fehler fest. "Die Beamten handelten nach geltenden Vorschriften", sagt Michal Tikovsky, der an der Untersuchung beteiligt ist. "Ihr Einsatz kann als schnell und professionell bewertet werden. Dennoch empfehlen wir für die Zukunft eine bessere Krisenkommunikation mit den betroffenen Behörden, in diesem Fall mit der Fakultätsleitung."
Wenig Kritik an der Polizeiarbeit
Die Leitung wurde nicht darüber informiert, dass der Student gesucht wurde, sondern nur die Personen vor Ort. In einer Umfrage halten 75 Prozent die Arbeit der Polizei dennoch für adäquat. Sie verfolgt seitdem rigoros Fälle von Zustimmung zu der Bluttat. In den Medien steht die Universität im Vordergrund.
"Ein Dank geht auch an die meisten Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens", so Polizeipräsident Martin Vondrasek. "Wir wissen es sehr zu schätzen, dass ihre Beiträge nicht zu einer Viktimisierung der Opfer und Angehörigen geführt haben und dass wir alle nicht zugelassen haben, dass der Täter alle Aufmerksamkeit auf sich zieht."
Der Todesschütze hat acht Waffen legal besessen. In Tschechien sind eine Million Schusswaffen in Umlauf - mehr als in Polen, das vier Mal größer ist. Eine Gesetzesverschärfung wird schon länger diskutiert. Doch einen politischen Konsens für eine deutlich härtere Gangart gibt es auch nach der Tat nicht. Viele Studierende haben dagegen eine klare Meinung: Sie fordern die Regierung in einer Petition dazu auf, den Besitz von Waffen einzuschränken.