Steinmeier in der Ukraine Eineinhalb Stunden im Luftschutzkeller
Wegen Luftalarms musste Bundespräsident Steinmeier im ukrainischen Korjukiwka in einen Schutzkeller flüchten. Eineinhalb Stunden wartete er dort - gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Kleinstadt.
Nur wenige Stunden nach seiner Ankunft in der Ukraine sitzt Frank-Walter Steinmeier in einem Luftschutzkeller in Korjukiwka. Die Stadt im Gebiet Tschernihiw liegt mehr als 220 Kilometer nördlich von Kiew und nur rund 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt.
Das deutsche Staatsoberhaupt samt Delegation wartet gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt auf das Ende des Luftalarms. Diese wollte er eigentlich im örtlichen Museum treffen - doch nun hocken alle in einer improvisierten Runde zusammen. "Die deutsche Delegation und ich haben bei unserer Ankunft erlebt, was Sie wahrscheinlich regelmäßig oder zumindest häufiger erleben", sagt Steinmeier. "Unser Besuch beginnt mit einem Alarm und wir befinden uns nicht im Museum, sondern in einem Luftschutzkeller."
Er freue sich auf die Begegnungen mit den Menschen, hatte Steinmeier am Morgen bei seiner Ankunft auf dem Bahnhof in Kiew gesagt, auch mit Menschen in ehemals russisch kontrollierten Gebieten wie im Norden der Ukraine.
Hartnäckiger Widerstand
Eine Frau erzählt ihm im Keller, wie sie den Beginn des russischen Großangriffs in der Gebietshauptstadt Tschernihiv erlebt hat. Sie kämpft mit den Tränen.
Jeden Tag wurde es immer lauter. Wir kannten schon den Flugplan der feindlichen Kampfjets. Sie kamen um Mitternacht und dann zwischen vier und sechs Uhr morgens. Als am 13. März dann zwei Nachbarhäuser völlig zerstört wurden, haben Bekannte uns geraten, wegzugehen. Hier in Korjukiwka wohnen unsere Eltern und jetzt auch mein Bruder, mein Mann, unsere beiden Kinder und ich.
Nach der russischen Großinvasion war die Stadt Korjukiwka rund 40 Tage von ukrainisch kontrolliertem Gebiet abgeschnitten. Lebensmittelversorgung, Medikamente, Strom- und Telefonnetz - alles war ein Problem. Doch Korjukiwka leistete hartnäckig Widerstand und die Menschen stellten sich todesmutig russischen Panzern entgegen.
"Ein Zeichen von Mut"
Auch Bürgermeister Ratan Achmedow war damals dabei, als rund 1000 Menschen die Besatzer tatsächlich zum Umdrehen bewegen konnten. Doch auch Steinmeier habe Mut bewiesen, so der Bürgermeister:
Wir sind nur 30 Kilometer von der Grenze zu Russland entfernt (...) Deshalb ist dies ein Zeichen von Mut. Und darüber hinaus ist es eine Ehre für uns in Korjukiwka. Vor einem Jahr haben wir den Bundespräsidenten auch hier empfangen. Und deshalb ist der heutige Besuch ein Zeichen des Respekts und ein Signal, dass Deutschland tapfer ist, weil sein Präsident keine Angst hat, hierher kommt und mit den Menschen spricht.
Korjukiwka hat für Steinmeier eine besondere Bedeutung. Da ist der Widerstand gegen russische Besatzung und der Wunsch, nach der gezielten russischen Zerstörung von Energiesystemen die Infrastruktur winterfest zu machen. Auch eine Städtepartnerschaft mit Waldkirch ist vereinbart.
Doch der Ort steht auch für die Ermordung von 6700 Menschen durch nazideutsche und mit ihnen damals verbündete ungarische Einheiten im Jahr 1943. Am Denkmal, das an die Opfer erinnert, legte Steinmeier Blumen nieder.
"Um kämpfen zu können, brauchen wir Waffen"
Bei den Gespräch im Luftschutzkeller bekommt Steinmeier einiges mit. Viele weinen. Ihr Mann kämpfe im Donbass bei Bachmut, erzählt eine Frau.
Nach rund eineinhalb Stunden ist der Alarm aufgehoben. Steinmeier besichtigt noch die wiederaufgebaute Brotfabrik, bevor er Richtung Kiew aufbricht.
Und Bürgermeister Achmedow hofft, dass diese Eindrücke in politisches Handeln münden: mehr Einsatz für Waffenlieferungen und Flugabwehrsysteme für die Ukraine. "Um kämpfen zu können, brauchen wir Waffen", sagt er und spricht aus, was die Mehrheit der Menschen in der Ukraine denkt. Man sei den Deutschen dankbar, dass sie bei den Vorbereitungen auf den Winter helfen würden, aber: "Wir sind bereit zu frieren, damit unsere Armee die Ukraine befreit. Und dafür sind Waffen und Raketenabwehrsysteme nötig."