Zerstörte Stromleitung Russland erlaubt Reparatur in Tschernobyl
Ein ukrainisches Team soll offenbar Zugang zur ehemaligen Atomanlage in Tschernobyl erhalten, um die beschädigte Stromleitung zu reparieren. Das kündigte das russische Verteidigungsministerium laut Interfax an.
Das russische Verteidigungsministerium will einem ukrainischen Reparatur-Team offenbar den Zugang zu einer beschädigten Stromleitung in der Nähe des Kernkraftwerks Tschernobyl ermöglichen. "Wir sind uns des Ausmaßes der humanitären Katastrophe in den blockierten Ortschaften bewusst und haben daher zusätzlichen, von ukrainischer Seite vorgeschlagenen, Korridoren zugestimmt", sagte der Leiter des Nationalen Verteidigungskontrollzentrums Russlands, Michail Misintsew, nach Angaben der Nachrichtenagentur Interfax.
Unter anderem soll über diese Routen Handwerkern aus der Region Schytomyr heraus Zugang in das Gebiet des ehemaligen Atomkraftwerks Tschernobyl gewährleistet werden, "um die Reise des Reparatur-Teams zu der von Nationalisten beschädigten Stromleitung zu sichern", sagte Misintsew demnach. "Zum jetzigen Zeitpunkt weicht die ukrainische Seite der Organisation von jeglichen Reparaturarbeiten aus. Das unterstreicht aus unserer Sicht erneut den gezielt provokativen Charakter der Handlungen von Nationalisten."
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Stromversorgung für Tschernobyl aus Belarus
Die Ukraine hatte Russland die Schuld an der Schädigung der Stromleitung gegeben. Bei Kampfhandlungen war zuvor eine 750-Kilovolt-Leitung zum ehemaligen Kraftwerk beschädigt worden. Dadurch seien die Anlage und die Pumpen für die Kühlbecken für Brennelemente der stillgelegten drei Reaktoren ohne Strom, hieß es. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba warnte vor einem möglichen Atomunfall.
Nach Angaben der belarusischen Agentur Belta teilte das belarusische Energieministerium zuvor mit, das von der Stromversorgung abgeschnittene und von russischen Einheiten besetzte ehemalige Kraftwerk solle vom Nachbarland aus mit Energie versorgt werden. Demnach sollte die Versorgung des stillgelegten Meilers von einem Umspannwerk in Belarus aus durch eine Hochspannungsleitung erfolgen.
Das ukrainische Staatsunternehmen Ukrenerho kritisierte den Plan. Man brauche keine Hilfe aus Belarus bei der Reparatur der durch Beschuss zerstörten Leitung. Nötig sei eine Waffenruhe - und ein Reparatur-Team müsste zur defekten Stelle gelassen werden. "Alle Meldungen russischer und belarusischer Medien zur Versorgung des Tschernobyl-Kraftwerks vonseiten Belarus sind eine Provokation, die auf eine Verschärfung der Situation abzielt", teilte Ukrenerho mit.
Ukraine meldet Brand in Atomforschungsinstitut in Charkiw
Russische Artilleriegeschosse trafen nach ukrainischen Angaben am Donnerstag auch das Atomforschungsinstitut in der Stadt Charkiw. Dabei sei ein Brand ausgebrochen, der aber wieder gelöscht werden konnte, sagte Anton Geraschtschenko, Berater des ukrainischen Innenministeriums. In einem getroffenen Gebäude lagere Material, durch das Strahlung freigesetzt werden könnte, sollte es beschädigt worden, warnte er. Das Büro von Präsident Wolodymyr Selenskyj teilte mit, es sei keine erhöhte Strahlung festgestellt worden.
G7 in Sorge um Sicherheit ukrainischer Atomanlagen
Zuvor hatten die Energieminister der G7-Staaten ihre Sorge um die Sicherheit der Atomanlagen in der Ukraine bekräftigt. Der russische Angriffskriegs schaffe eine dauerhafte Gefahr weit über die Grenzen der Ukraine hinaus, hieß es in einer Erklärung der Minister von Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien, den USA sowie der EU-Energiekommissarin. "Wir rufen Russland auf, jeglichen Gebrauch von Gewalt gegen oder in der Nähe von ukrainischen Nuklearanlagen einzustellen", erklärten die Minister. Zudem müssten die Anlagen unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung bleiben.
Man teile die Besorgnis der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA über die Besetzung des Atomkraftwerks Saporischschja durch russische Truppen und sei besorgt über die Trennung des Atomkraftwerks Tschernobyl von der Stromversorgung.
IAEA: Keine Sicherheitsgarantien von Russland und Ukraine
Die Außenminister Russlands und der Ukraine gaben der IAEA bei ihren Gesprächen in der Türkei keine Garantien zum Schutz der ukrainischen Atomanlagen. IAEA-Chef Rafael Grossi berichtete nach seinen Treffen mit Sergej Lawrow und Dmytro Kuleba, dass in Antalya noch keine Details einer solchen Übereinkunft besprochen worden seien. Dennoch zog er eine positive Bilanz: "Die Ukraine und die Russische Föderation wollen mit uns zusammenarbeiten, und sie haben zugesagt, mit uns zusammenzuarbeiten", sagte Grossi.
"Beide Seiten sind sich einig, dass etwas getan werden muss", bekräftigte er. "Beide Seiten sind bereit, mit der IAEA zusammenzuarbeiten und sich zu engagieren". Er sagte, er werde versuchen, in den nächsten Tagen "etwas Konkreteres" vorzulegen. "Es ist eine sehr ernste Situation und wir müssen schnell handeln."
Nachdem mehrere ukrainische Atomanlagen seit Beginn der russischen Invasion eingenommen, beschädigt oder beeinträchtigt worden waren, hatte Grossi auf Verhandlungen zu Sicherheitsgarantien gedrängt, um Atomunfälle zu vermeiden. Neben Ungewissheiten um die Anlage in Tschernobyl ist Grossi vor allem besorgt, dass Geräte zur Überwachung von Nuklearmaterial auch in Saporischschja seit einigen Tagen keine Signale mehr an die IAEA nach Wien senden. "Die Situation verschlechtert sich", sagte Grossi.
Kontakt nach Tschernobyl abgebrochen
Die Datenverbindung dient laut Grossi zwar nicht der Betriebssicherheit, sondern der Kontrolle, dass das Material nur für friedliche Zwecke genutzt wird. Dennoch sei es ein Problem, wenn die IAEA nicht durchgehend diese Informationen bekomme, sagte er.
Die Ukraine teilte inzwischen mit, jeglichen Kontakt zu den Anlagen für radioaktive Abfälle, die sich neben dem stillgelegten Kraftwerk in Tschernobyl befinden, verloren zu haben. "Die Ukraine hat die Internationale Atomenergiebehörde darüber informiert, dass sie heute jegliche Kommunikation mit dem Kernkraftwerk Tschernobyl verloren hat", hieß es in einer IAEA-Erklärung. Zuvor habe demnach es eine Verbindung via E-Mails gegeben.