Ungarns neues Mediengesetz und die EU Verklagen, sanktionieren oder aussitzen?
Im Streit um das neue ungarische Mediengesetz setzt EU-Kommissionspräsident Barroso auf Gespräche. Den Anfang macht heute ein Treffen mit Ungarns Präsident Orban. Abgeordnete des EU-Parlaments drängen auf ein schnelleres Vorgehen, notfalls sogar ein Verfahren. Das Gesetz wird kritisiert, weil es die Pressefreiheit massiv einschränkt.
Von Christoph Prössl, NDR-Hörfunkkorrespondent Brüssel
Die Töne, die in Brüssel angeschlagen werden, sind leise. Pressefreiheit hin oder her, die EU-Kommission setzt beim Zusammentreffen mit der ungarischen Regierung auf Gespräche und Diplomatie. Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte: "Ich möchte von den ungarischen Behörden eine Klärung des Sachverhalts. Außerdem sollten Zweifel, die wir haben, ausgeräumt werden." Das werde er heute mit dem ungarischen Premier Orban besprechen. Vor seiner Abreise nach Budapest machte Barroso auch noch einmal deutlich, wie wichtig die Pressefreiheit sei. Die Unabhängigkeit der Medien sei ein unantastbares Prinzip, ein fundamentales Grundrecht, betonte er.
Noch kein Verfahren eingeleitet
Bereits im Dezember hatte die Kommission an die ungarische Regierung geschrieben - kurz nachdem das Gesetz verabschiedet worden war. Damals bat die zuständige Kommissarin Neelie Kroes um Erläuterungen zum 200 Seiten starken Gesetz. Nun prüft die Kommission die Vereinbarkeit mit EU-Recht, insbesondere mit einer Richtlinie aus dem Jahr 2007, die Rechte der Fernsehzuschauer und Hörer definiert. Ein Vertragsverletzungsverfahren sei noch nicht eingeleitet, sagte Barroso.
Vielen Abgeordneten im EU-Parlament reicht das nicht. Sie wollen Maßnahmen - und zwar schnell. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Martin Schulz, will den Innenausschuss beauftragen, das ungarische Mediengesetz zu überprüfen, notfalls solle so ein Verfahren eröffnet werden. Auch der liberale Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff fordert Maßnahmen.
Daumenschraube in Artikel 7
Grundlage ist der Vertrag von Lissabon. Darin verpflichten sich alle Mitglieder zur Wahrung der Menschenrechte, der Freiheit, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Und die Daumenschraube ist in Artikel 7 formuliert. Demnach kann der Rat einem Mitglied, dass dauerhaft gegen die Grundrechte verstößt, das Stimmrecht entziehen.
So scharf wurde bislang selten vorgegangen gegen ein einzelnes Mitglied, vergleichbar ist lediglich der Fall Österreich im Jahr 2000. Damals bildeten die Christdemokraten eine Koalition mit Jörg Haiders FPÖ. Die 14 anderen EU-Länder wollten Österreich isolieren. Haider erklärte damals: "Es wird keine Möglichkeit für die 14 europäischen Staaten geben, eine demokratische Entscheidung und eine demokratische Regierung in Österreich aus den Angeln zu heben."
Doch Haider selber trat nicht in die Regierung ein. Ein kleiner Erfolg. Damals hatte die Europäische Union keine rechtliche Grundlage für ihr Vorgehen. Heute ist das anders. Doch erst wenn die politischen Bemühungen der Kommission erfolglos bleiben, würde es zu einem solchen Paukenschlag kommen.