US-Wahl 2024
US-Wahl 2024 Die Angst der NATO vor dem Déjà-vu
Die Erfahrungen aus der ersten Präsidentschaft Trumps wirken bei der NATO noch immer nach. Die Furcht vor einer weiteren Amtszeit ist im Verteidigungsbündnis groß. Die NATO will sich "Trump-sicher" machen. Aber geht das?
Vor vier Jahren lagen die Nerven bei vielen Diplomaten und Militärs blank. Die Trump-Jahre gingen zu Ende, endlich zu Ende, das war die Stimmung im NATO-Hauptquartier.
Ausgerechnet an der Spitze des größten und für alle Alliierten wichtigsten NATO-Mitglieds hatte ein Mann gestanden, der wegen seiner Unberechenbarkeit und auch wegen seiner Alleingänge berüchtigt war.
Als Joe Biden die Präsidentenwahl im Jahr 2020 gewann, ging ein Aufatmen durch das NATO-Hauptquartier. Weil Trump im Bündnis einen Scherbenhaufen nach dem anderen angerichtet hatte - zum Beispiel die Alliierten in Syrien und im Irak im Stich gelassen, in Afghanistan nicht nur für Chaos, sondern auch für die Aufwertung der Taliban gesorgt und immer wieder die Europäer abgekanzelt hatte.
Trump hat die "Europäer nie als Alliierte empfunden"
"Er hat die Europäer nie als Alliierte empfunden", bilanzierte Jean-Claude Juncker im Oktober 2020, "sondern als dunkle Gestalten, die Amerika nichts Gutes wollten". Dabei wurde Juncker als Präsident der EU-Kommission zu den wenigen Politikern gezählt, die noch vergleichsweise gut mit dem Deal-Macher konnten.
Trotzdem zog er im Gespräch mit dem ARD-Studio Brüssel eine vernichtende Bilanz der Trump-Jahre. "Er hat sich dauernd selbst vorgesagt, auch in Sitzungen, dass die Europäische Union eine Erfindung sei, um den amerikanischen Einfluss in der Welt zu mindern."
Sofort die Rechnung aufgemacht
Es fing schon schlecht an - mit einer Standpauke zur Eröffnungsfeier des nagelneuen Hauptquartiers im Brüsseler Osten im Jahr 2017. "In den vergangenen acht Jahren haben die Vereinigten Staaten mehr für Verteidigung ausgegeben, als alle anderen NATO-Länder zusammen", hielt Trump den versammelten Staats- und Regierungschefs entgegen. Das sei nicht fair gegenüber den US-amerikanischen Steuerzahlern. "23 von 28 Mitgliedsländern bezahlen nicht, was sie für die Verteidigung zahlen müssten!"
Angesprochen fühlen durfte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel, denn die deutschen Rüstungsausgaben hatten mit rund 1,2 Prozent des Brutto-Inlandsprodukts kurz vorher einen Tiefpunkt erreicht, weit entfernt vom eigentlich vereinbarten Zwei-Prozent-Ziel. Trump hörte nicht auf mit dem Anprangern, er habe das "sehr, sehr direkt" mit Generalsekretär Jens Stoltenberg besprochen. Merkels Mundwinkel zeigten nach unten.
Trump vergeudete keine Zeit. Gleich bei der Einweihung des NATO-Hauptquartiers im Mai 2017 las er den Verbündeten die Leviten.
Ruttes Lob für Trump
"Dank Donald Trump haben wir unsere Ausgaben für die Verteidigung nach oben gepusht", erklärte Mark Rutte kürzlich bei seinem Amtsantritt als neuer NATO-Generalsekretär. Das waren nicht die einzigen lobenden Worte, die der Niederländer zur Verblüffung mancher im Publikum für Trump fand. Auch dessen kritische Haltung gegenüber China hätten inzwischen viele übernommen.
An wen war die überraschende Botschaft eigentlich gerichtet? Die Frage wird diskutiert und eine Antwort lautet: möglicherweise direkt an Donald Trump. Er liegt Kopf an Kopf mit Kamala Harris, auszuschließen ist es also nicht, dass der Alptraum von vorne beginnt. Dieses Mal will man sich wenigstens nicht kalt erwischen lassen, wie beim ersten Mal, sondern gewappnet sein.
Weshalb seit Wochen ein trotzig klingendes Wort durch die sicherheitspolitischen Debatten kursiert, das Wort "Trump-sicher". Die Allianz müsse sich so aufstellen, dass sie durch eine zweite Amtszeit von Trump nicht in eine existentielle Krise gestürzt wird.
Dass die durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dafür hatte Trump mit wirr klingenden, aber wohl ernst gemeinten Äußerungen zu Beginn des Wahlkampfs im Frühjahr gesorgt. Er, Trump, würde im Angriffsfall nur Ländern helfen, die "Rechnungen bezahlen". Tun sie das nicht, würde er Wladimir Putin freie Hand gewähren.
Das Problem, sich auf den Extremfall vorzubereiten
"Die Idee, dass man die NATO 'Trump-sicher' machen kann, ist eine Illusion", erklärt Marco Overhaus, USA-Experte in der Stiftung Wissenschaft und Politik. Auf den Extremfall - dass Trump die USA aus der NATO herausführt oder amerikanische Truppen in großer Zahl aus Europa abzieht - könne man sich nur sehr schwer vorbereiten.
"Das transatlantische Verhältnis gerade in der Verteidigungspolitik ist strukturell völlig schlecht ausbalanciert" so Overhaus, 75 Prozent der Lasten bei den USA und 25 Prozent bei den Europäern seien eben kein ausbalanciertes Verhältnis.
Die Hoffnung auf eine weitere Frist
Aus NATO-Sicht käme es vor diesem Hintergrund einem Glücksfall gleich, wenn es unter einer Präsidentin Kamala Harris noch mal vier Jahre gibt, um das Ungleichgewicht anzugehen.
Militärisch dürfte es dabei um die Aneignung von Schlüsselfähigkeiten gehen, bei denen die Europäer besonders abhängig von den US-Amerikanern sind. Bei der Luft- und Raketenabwehr zum Beispiel, inklusive der Frühwarnsysteme.
Aber auch ganz grundsätzlich bei der Kommandostruktur, die nötig ist, um Einsätze von militärischen Großverbänden zu befehligen. Und dabei ist die Bedeutung der in Europa stationieren US-amerikanischen Atomwaffen noch gar nicht erwähnt.
Auch politisch kann es schwierig werden
Politikwissenschaftler Overhaus sieht europäischen Nachholbedarf aber nicht nur bei militärischen Fragen. "Was machen wir eigentlich, wenn eine Trump-2-Administration sich politisch aus der NATO heraushält", fragt er. Sollten die USA so etwas wie die einst von Charles de Gaulle praktizierte "Politik des leeren Stuhls" betreiben, dann müsse Europa darauf frühzeitig eine Antwort finden und die bisherigen Traditionen der kollektiven Willensbildung überdenken.
Ganz konkret hieße das, sich darauf vorzubereiten, dass Amerika sein Gewicht als Großmacht gegen den Willen der Europäer einsetzt. Oder, auch das hält Overhaus für realistisch, dass Washington anfängt "NATO-Verbündete gegeneinander auszuspielen."