Scheidender EU-Ratspräsident Van Rompuy Stille Macht
Nie laut, nie geschwätzig, nie auftrumpfend - mit der ihm eigenen Art hat Herman Van Rompuy das Amt des EU-Ratspräsidenten geprägt. Dass er den meisten Bürgern unbekannt blieb? Ist in seinem Fall eher Auszeichnung denn Makel.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
"Herman - wer?", titelten die europäischen Zeitungen vor fünf Jahren, als die Staats- und Regierungschef Herman Van Rompuy als ihren künftigen Gipfelchef aus dem Ärmel zauberten.
Viele hielten den ebenso steifen wie stillen Belgier - Markenzeichen randlose Brille und schütteres Haar - für ein typisches Produkt europäischer Personalpolitik. Oberstes Auswahlkriterium: Harmlosigkeit. Die Alphatiere aus den Hauptstädten wollen sich schließlich ihre Kreise nicht von einem aus Brüssel stören lassen.
Für Nigel Farage, den Chef der europafeindlichen britischen Ukip, ein gefundenes Fressen: "Sie haben das Charisma eines feuchten Lappens und das Aussehen eines subalternen Bankangestellten", schleuderte der gefürchtete Sprücheklopfer dem frischgebackenen ersten EU-Ratspräsidenten im Europäischen Parlament entgegen.
Viele Abgeordnete waren empört. Aber Van Rompuy ertrug die Hasstirade mit der ihm eigenen stoischen Ruhe.
Er zähmte, ohne zu maßregeln
Gelassenheit und Zurückhaltung, nie laut werden, sich nie in den Vordergrund drängen, nie über sich, das eigene Amt reden oder gar über das, was er mit anderen besprochen hat - Van Rompuy pflegte einen ganz eigenen Politikstil. Damit blieb der oberste Repräsentant der Europäischen Union zwar den Bürgern weitgehend unbekannt. Aber für die Zähmung der eigensinnigen Regierungschefs erwies sich dieser Stil als Erfolgsrezept.
Als es diesen Sommer um die, im ersten Anlauf erfolglose, Suche nach einem Nachfolger ging, brach Kanzlerin Angela Merkel geradezu in eine Lobeshymne aus: "Das war eine exzellente Wahl. Er hat uns gut zusammengeführt, und das hat für mich auch irgendwie die Auswahl des Ratspräsidenten geprägt: nämlich, dass es jemand sein muss, der zusammenführen kann, und der auch in Formulierungen, in den Dossiers die Dinge sehr sehr gut beherrscht."
"Jeder Staat zählt" - dieses Gefühl gab er den Regierungschef
Van Rompuy selbst beschreibt seine Rolle nicht als die eines Bestimmers, sondern die eines ehrlichen Maklers, eines Vertrauensmannes. "Dafür muss man die Leute treffen, ihnen zuhören, ihre Meinung beherzigen", sagt er, "man muss ihnen die Gewissheit geben, dass jeder Staat zählt, egal wie groß und wichtig er ist."
Am Ende soll schließlich jeder Gipfel im Konsens enden, alle sollen zustimmen. Und tatsächlich kam es nur einmal in den fünf Jahren zu einer Kampfabstimmung. Und das in ausgesprochen schwierigen Zeiten. Eine Krise jagte die andere, Finanzkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, Ukraine-Krise ... Dass die EU in dieser Zeit wenigstens einigermaßen geschlossen auftrat, ist auch ein Verdienst Van Rompuys.
Dabei konnte sich der Christdemokrat auf nicht viel mehr stützen als seine Überzeugungskraft und seine, so wird berichtet, extreme Hartnäckigkeit. Und seine jahrzehntelangen Erfahrungen als Konsenssucher in der unübersichtlichen Politik seines Heimatlandes, mit den auseinanderstrebenden Landesteilen.
Reale Macht hat der Ratspräsident so gut wie keine und auch kaum Ressourcen: "Die Zahl meiner Mitarbeiter ist nicht größer als die eines Staatssekräters einer belgischen Provinzregierung", sagt Van Rompuy.
Einen Spleen gönnte er sich - japanische Gedichte
Und noch etwas hat dem oft unterschätzten Van Rompuy geholfen, die fünf stürmischen Jahre an der Spitze des Europäischen Rates so lautlos wie effizient zu bewältigen, nämlich sein ungewöhnliches Hobby, das Verfassen von Haikus, einer traditionellen japanischen Gedichtform.
Eines geht so: "Landers - kleine Schritte - nach zehn Monaten schon auf dem Weg zur Freiheit."
Landers ist eines seiner Enkelkinder. Und denen kann er sich der 67-Jährige nun viel intensiver widmen. Mit dem Abschied vom Posten des EU-Ratspräsidenten zieht sich Herman Van Rompuy aus der Politik zurück.