Manfred Weber
interview

EVP-Chef zu EU-Sanktionen "Wir brauchen jetzt den Befreiungsschlag"

Stand: 23.05.2022 18:42 Uhr

Europa müsse dringend in die Gänge kommen - insbesondere bei den Sanktionen gegen Russland. Das fordert EVP-Fraktionschef Weber im Interview mit tagesschau24. Für die Ukraine wünscht sich Weber eine Aufnahme in die EU.

tagesschau24: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat beim Weltwirtschaftsforum in Davos maximale Sanktionen gegen Russland gefordert, also ein Ölembargo und die Sanktionierung aller russischer Banken. Davon ist die Europäische Union noch ein ganzes Stück entfernt. Will sie Russland nicht härter bestrafen, oder kann sie nicht?

Manfred Weber: Die große Mehrheit der europäischen Staaten und auch wir im EU-Parlament wollen die Sanktionspakete - gerade die zwei Punkte, die Sie angesprochen haben: ein vollständiges Ölembargo und die vollständige Sanktionierung der russischen Banken. Aber die jetzigen Regulierungen in Europa sehen vor, das Sanktionen nur einstimmig beschlossen werden können. Und der ungarische Regierungschef Viktor Orban blockiert nach wie vor diese Entscheidungen. Wir brauchen jetzt den Befreiungsschlag. Die Staats- und Regierungschefs müssen beim kommenden Gipfel den Durchbruch schaffen. Selenskyj hat recht: Wir müssen wirtschaftlich maximalen Druck auf Russland ausüben, um diesen völkerrechtswidrigen Krieg zu beenden.

Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender Christdemokraten Europäisches Parlament, zum Weltwirtschaftsforum

tagesschau24 15:30 Uhr

"Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU"

tagesschau24: Russland hat die Energie, die Europa braucht. Wenn Russland den Hahn zudreht, ist Europa darauf vorbereitet?

Weber: Die EU-Kommission hat deutlich gemacht, dass wir bis Jahresende eine Kompensation der russischen Gaslieferungen schaffen könnten, wenn wir uns gemeinsam anstrengen. Das wird uns massiv fordern, aber es ist machbar.

Beim Öl, - bei dem Russlands Präsident Wladimir Putin derzeit die größten Gewinne hat, wenn es um die Einkünfte geht, mit denen dieser Krieg dann finanziert wird ,- ist der Ausstieg noch einfacher möglich, weil die Anlieferung auf dem Seeweg funktioniert. Es ist egal, ob der Tanker aus Russland, oder ob er aus anderen Regionen der Welt kommt. Insofern ist jetzt Druck notwendig, das Ölembargo umzusetzen. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit der EU.

"Wir sitzen in einem gemeinsamen europäischen Boot"

tagesschau24: Gibt es eine EU-weite Strategie, um Europa mit Energie zu versorgen, wenn die Importe aus Russland eingestellt werden? Oder kümmert sich jedes Land um sich selbst?

Weber: Von der Rechtslage her ist Energiepolitik nach wie vor nationale Angelegenheit. Auch wir Deutschen konnten eigenständig aus der Kernkraft aussteigen. Es sind also nach wie vor nationale Entscheidungen, wie der Energiemix ausschaut. Aber die jetzige Entwicklung zwingt jeden zu verstehen, dass wir in einem gemeinsamen europäischen Boot sitzen.

Ich nenne ein konkretes deutsches Beispiel: Einer der größten süddeutschen Erdgasspeicher, der Bayern und Baden-Württemberg mit Gas versorgt, befindet auf österreichischem Grund und Boden. Für Bayern und Süddeutschland ist er aber von großer Bedeutung. Deswegen ist eine abgestimmte europäische Vorgehensweise notwendiger denn je.

Zudem dürfen wir EU-Staaten jetzt nicht gegenseitig mit denen, die uns noch Gas verkaufen wollen, in einen Preiswettbewerb eintreten und den Preis nach oben treiben. Es macht also Sinn, in der EU eine Einkaufsgemeinschaft zu schaffen, mit der wir gemeinsam Gas kaufen. Dann sind wir als Abnehmer deutlich mächtiger, und wir können dann bei den Preisen auch entsprechend maßhalten.

"Die Ukraine steht finanziell am Abgrund"

tagesschau24: Sie befürworten eine Aufnahme der Ukraine in die EU. Doch bevor es soweit ist, braucht die Ukraine Hilfe von der EU. Wo muss aus ihrer Sicht nachgebessert werden?

Weber: Die Ukraine braucht es ganz aktuell finanzielle Hilfe. Das Land ist im Krieg, die Wirtschaft ist zusammengebrochen. Alle Investoren von außen ziehen sich zurück. Finanziell steht die Ukraine am Abgrund. Das Zweite was notwendig ist, sind nach wie vor Waffen. Selenskyi sagt: "Wir haben mehr Soldaten, die für unser Land, für die Freiheit und Demokratie kämpfen wollen, als dass wir sie mit Waffen ausstatten können." Deswegen ist diese Debatte nach wie vor wichtig.

Und das Dritte ist das politische Signal der Aufnahme. In wenigen Tagen wird die EU-Kommission den Fortschrittsbericht vorlegen, ob die Ukraine genügend Fakten geliefert hat, um den Kandidatenstatus zu bekommen. Und ich bin dezidiert der Meinung, dass dieses politische Signal jetzt notwendig ist. Im EU-Parlament hat Selenskyj uns die Frage gestellt: "Ist es wert zu kämpfen? Dürfen wir auch Mitglied im Club werden? Dürfen wir auch Europäer werden?" Und meine Antwort ist klar: Die Ukrainer sind Europäer, und sie dürfen Mitglied der EU werden. Deswegen ist der Kandidatenstatus ein wichtiges Signal, den Menschen in der Ukraine zu signalisieren: Ihr seid willkommen.

"Erdogan spielt mit dem Feuer"

tagesschau24: Schauen wir mal auf die Sicherheitspolitik: Bei der NATO gibt es Hickhack, Schweden und Finnland wollen beitreten. Die Türkei, selbst NATO-Mitglied, knüpft ihre Zustimmung für den Beitritt aber an Bedingungen. Ist so etwas in der derzeitigen Situation zielführend?

Weber: Definitiv nicht. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan spielt mit dem Feuer. Finnland und Schweden sind gereifte Demokratien, sind heute schon EU-Mitglieder. Deshalb steht einer NATO-Aufnahme überhaupt nichts im Wege. Und Erdogan nutzt wieder das Prinzip der Einstimmigkeit, um seine eigenen politischen Ziele durchzusetzen. Ganz offen gesagt, wird sich eher die Frage stellen, wer besser zur westlichen Wertegemeinschaft der NATO passt. Ob es den Schweden oder Finnland sind - oder ob es nicht die Türkei ist, die eigentlich Fragen zu beantworten hätte, wenn es um Rechtsstaatlichkeit und um Menschenrechte geht. Nichtsdestotrotz bin ich auch überzeugt, dass am Ende die Türkei ihr Veto aufgeben wird und beide Staaten der NATO beitreten können.

Das Interview führte Carl-Georg Salzwedel, tagesschau24. Die schriftliche Version wurde gekürzt und redigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 23. Mai 2022 um 15:00 Uhr.