Europawahl 2024
ALDE-Spitzenkandidatin Vestager Offen, konfliktfähig, modern
"Miss Cool" und "Drachentöterin": Die Spitznamen von ALDE-Spitzenkandidatin Vestager zeugen von ihrem Image als Wettbewerbskommissarin. Sie steht für ein selbstbewusstes Europa. Von Holger Beckmann.
"Miss Cool" und "Drachentöterin": Die Spitznamen von ALDE-Spitzenkandidatin Vestager zeugen von ihrem Image als Wettbewerbskommissarin. Sie steht für ein selbstbewusstes Europa.
Sie mag keine kleinen Schritte - dafür Klarheit, Offenheit und Entscheidungen, die am Blick nach vorne ausgerichtet sind.
"Meine Eltern hatten ein sehr offenes Haus", sagt Margrethe Vestager und meint das im wörtlichen Sinne: Die Tür habe immer für alle offen gestanden. Ohne Zweifel trainiert so etwas Offenheit und Kommunikation. Manchmal habe es auch dazu gehört, denen die kamen, klare Ansagen zu machen und einen Weg zu zeigen. Vestagers Eltern waren beide Pastoren. Aufgewachsen ist sie als älteste Tochter.
Keine Scheu vor Konflikten
Die Dänin ist in der Europäischen Kommission bisher zuständig für Wettbewerbspolitik. Klare Entscheidungen hat sie mehrmals getroffen und dabei keinen Konflikt gescheut. Gleich drei Mal innerhalb von nur anderthalb Jahren hat sie dem amerikanischen Internetriesen Google Milliardenstrafen wegen Verletzungen des europäischen Wettbewerbsrechts aufgedrückt oder den Apple-Konzern zu Steuerzahlungen in Milliardenhöhe gezwungen. Für ihre Vision kämpft sie mit offenem Visier - und das gehe auf ihre Herkunft zurück, sagt sie.
Sie komme aus dem westlichsten Teil Dänemarks, da, wo die Landschaft völlig flach sei. Das sei die schönste Gegend, die man sich vorstellen könne: mit dem weitesten Horizont, dem großartigsten Himmel. "Da kannst du hingehen, wohin auch immer du willst", sagt sie.
Wohin sie wirklich will, wenn es um ihre zukünftige Aufgabe in Brüssel geht, ist allerdings nicht wirklich klar. Natürlich gibt es Spekulationen. Denn dass die "coolste Politikerin der EU", wie sie von manchen genannt wird, einfach sang- und klanglos von der europäischen Bühne verschwindet, wenn im Herbst eine neue EU-Kommission das Ruder übernimmt, das erscheint einigermaßen unwahrscheinlich.
Das Spitzenteam der liberalen europäischen Partei "ALDE" für die Europawahlen 2019. Eine der sieben Spitzenkandidatinnen ist Margrethe Vestager (Mitte hinten).
Kein Interesse für Wer-wird-Was
Vestager hat in Brüssel diverse Spitznamen: "Miss Cool", "Eiskönigin", "Drachentöterin". Dass sie sich in den vergangenen Jahren erheblichen Respekt verschafft hat, daran gibt es keinen Zweifel. Außerdem gehört Vestager zum Spitzenkandidaten-Team der Liberalen im Europaparlament. Auch deshalb heißt es, sie könne durchaus in Betracht kommen für das Spitzenamt der EU. Die Frage danach, beantwortet sie allerdings bisher ausweichend.
"Wir möchten herausfinden, was unser Mandat ist", antwortet sie - und was die Europäer wollten. Das sei für sie interessanter als das Wer-wird-Was in Brüssel. Klar ist allerdings: Sie möchte weiterhin eine Rolle spielen in der EU, ihren eigenen Worten zufolge auch gerne als Wettbewerbskommissarin, weil das ein Bereich sei, in dem gerade enorm viel passiere.
Nominierung durch dänische Regierung ungewiss
Ob die dänische Regierung, die da ein entscheidendes Wort mitzureden hat, das auch will, ist unsicher. Aber klar ist: Längst nicht alle in der EU sind mit Vestagers Verständnis von Wettbewerb und Wettbewerbsrecht einverstanden.
Deutschland und Frankreich möchten Europa gerne neue industriepolitische Impulse geben, europäische Champions mit EU-Fördermitteln entstehen lassen. Eine Fusion der Zughersteller Siemens und Alstom wäre ihnen da recht gewesen. Doch damit sind sie an der Frau aus Dänemark gescheitert. Sie zieht viele kleine und mittlere Unternehmen wenigen großen Playern vor. "Weil Vielfalt besser ist", sagt sie. Vielfalt produziere bessere Entscheidungen, ein besseres Arbeitsumfeld, bessere Ideen.
Als EU-Kommissarin hat Margrethe Vestager mit ihren Vorstellungen des Wettberwerbsrechts auch Kritik auf sich gezogen.
Ein liberales, modernes, selbstbewusstes Europa
Mehr Vielfalt will sie auch in der neuen EU-Kommission: zuerst mit Blick auf die Geschlechterverteilung. Bisher sind dort nämlich 19 Kommissare, aber nur neun Kommissarinnen. Das müsse sich dringend ändern, meint Vestager. Als Kommissionspräsidentin würde sie als erstes dafür sorgen.
In Brüssel sind sich die meisten einig: Vestager steht für ein modernes und selbstbewusstes Europa, das keine Konflikte scheut. Und manche sagen, dass sie deswegen an der Spitze der EU-Kommission genau richtig wäre. Dann wäre sie außerdem auch die erste Frau in diesem Amt.
Dass sie es wirklich wird, gilt aber bisher als unwahrscheinlich. Sie ist nicht die einzige Spitzenkandidatin der Liberalen im Europaparlament und sie kann nicht wirklich auf die Unterstützung der Regierung in Dänemark zählen. Einer großen dänischen Zeitung hat sie allerdings kürzlich zu verstehen gegeben, dass sich das ja auch ändern könne.