Europawahl 2024
Grüne vor der Europawahl Viel Einigkeit, wenig echte Debatte
Kurz vor der Europawahl haben die Grünen auf einem kleinen Parteitag Einigkeit demonstriert. Große Diskussionen oder Kritik an der eigenen Spitze blieben aus. Stattdessen schoss man gegen die Union.
Potsdam ist weit weg von den Wassermassen im Süden - vor der Halle herrscht schönstes Frühsommerwetter. Trotzdem spielte der bange Blick auf die Überschwemmungen immer wieder eine Rolle beim Länderrat der Grünen: "Wir können nur hoffen, dass jetzt nicht ein sogenanntes Jahrhunderthochwasser kommt", sagte Parteichef Omid Nouripour in seiner Auftaktrede.
Wenn es komme, werde es nicht das letzte Jahrhunderthochwasser sein, mahnt Nouripour - um dann gleich auf Europawahlkampf umzuschalten: "Eines kann ich nicht mehr hören: dass Klimaschutz ein rein grünes Thema wäre."
Klimaschutz bleibt Kernthema
Doch im Moment sind die Grünen ziemlich allein damit. Und sie müssen vor der Europawahl den Spagat schaffen: Für die eigenen Anhänger ist laut dem neuesten ARD-Deutschlandtrend Klimaschutz das wichtigste Thema bei der Wahlentscheidung. Für andere Befragte spielt es hingegen kaum eine Rolle.
Die Grünen müssen jetzt also die eigenen Reihen auf den letzten Metern motivieren - und andere zumindest nicht abschrecken. Nur so können sie es schaffen, bei der Wahl über die Kernklientel hinaus Stimmen zu sammeln.
Im Moment sieht es nicht danach aus, dass ihnen das gelingt. Das Rekordergebnis von 2019, damals schafften sie mehr als 20 Prozent, ist in Umfragen in weiter Ferne, das wissen auch die Delegierten in der Potsdamer Schinkelhalle. Um die 14 Prozent sind es derzeit für die Partei.
Spitzen gegen die Union
Etliche Teilnehmer haben für den Länderrat ihren Wahlkampf unterbrochen und schilderten im Saal ihre Erfahrungen. Die Dresdener Kommunalpolitikerin Anne-Katrin Haubold berichtete, wie sie mit einem Mitstreiter Anfang Mai beim Plakatehängen angegriffen wurde. Man müsse trotzdem weitermachen, sage sie sich seitdem. Aber sie warnte auch die Partei: "Wir dürfen nicht nur Programm machen für unsere Kernklientel in den wohlsituierten grünen Zonen in den Großstädten."
Wirtschaftsminister Robert Habeck setzte in seiner Rede erkennbar auf Spitzen gegen die Union. Vor allem in der Energiepolitik habe sie schwere Fehler gemacht: Die große Koalition habe Deutschland in die Abhängigkeit von Putins Gas getrieben, das gehe klar aus den Akten hervor, die er in seinem Ministerium lesen konnte.
"Das eigentlich Empörende ist die Nicht-Aufarbeitung in der Union", rief Habeck. Stattdessen hantiere die Partei mit alten Rezepten: "Die Union ist im gleichen Geisterflug wie in der Vergangenheit." Sie sei "energiepolitisch eine Geisterfahrerpartei", so Habeck. Gestiegene Energiekosten, Produktionskosten und Inflation seien nach 2022 die Folge jahrelanger Abhängigkeit gewesen: "Die Union ist verantwortlich für die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten." Das ist offenbar Habecks Versuch, die schlechten Wirtschaftsprognosen anderen anzuheften, damit sie am Wahltag nicht mit den Grünen nach Hause gehen.
"Klimaschutz ist Sicherheitspolitik"
Auch Außenministerin Annalena Baerbock und andere Redner arbeiteten sich vor allem an der Union ab: "Die ganze Welt hat verstanden, dass Klimaschutz Sicherheitspolitik ist", sagte Baerbock. Das zeige auch die Zerstörungskraft des Hochwassers gerade auf dramatische Weise. Nur CDU und CSU würden das Thema immer noch nicht ernst nehmen.
In mehreren Reden wurde CDU-Chef Friedrich Merz vorgeworfen, dass er Klimaschutz in Interviews als überbewertet abgetan hatte. "Es ist eben gerade nicht so, dass die Welt morgen untergeht", habe Merz noch vor Wochen gesagt, zitierte etwa Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann. "Wie zynisch ist das?", fragte sie. Betroffene von Unwettern, wie aktuell in Bayern oder Baden-Württemberg, hätten durchaus das Gefühl, dass ihre Welt untergehe, kritisierten auch weitere Redner.
Einigkeit vor der Europawahl
Viel Einigkeit, wenig echte Debatte - das steht am Ende des fünfstündigen Kurzparteitags. Normalerweise gibt es bei Grünen-Treffen etliche Gegenanträge zu Vorlagen des Bundesvorstands und stundenlange Debatten. So kurz vor der Europawahl ist das offenbar nicht das Bild, das die Partei jetzt abgeben will.
Stattdessen: auffallend viel Ruhe. Streitthemen vermied man. Teilnehmer berichten, dass man sich darauf verständigt habe, beim Länderrat nicht gegen die Parteispitze zu argumentieren. In den Endspurt des Wahlkampfs wollen die Grünen eher mit Geschlossenheit und Selbstvergewisserung starten.