Verschwörungsmythen Die Legende vom "Corona-Schwindel"
Im Netz ist ein neuer Mythos erschaffen worden: Der "Corona-Schwindel" knüpft nahtlos an bestehende Verschwörungslegenden an. Um den vermeintlichen Schwindel zu beweisen, greifen Aktivisten zu grotesken Methoden.
Die Verbreitung von Sars-CoV-2 wird von Anfang an durch wilde Verschwörungslegenden begleitet. Als die Epidemie noch auf China begrenzt war, kursierten bereits Spekulationen zu dessen Ursprung. Wahlweise stamme das neuartige Virus aus einem Labor in Wuhan, hieß es, oder von geldgierigen Geschäftsleuten rund um Bill Gates, die bereits ein Patent darauf angemeldet hätten. Auch der US-Milliardär George Soros und Israel werden als Urheber beschuldigt. Belege gibt es dafür, wie üblich, keine.
Ähnlichkeiten
In Deutschland sind die Mythen zu Corona umgehend in das Netz bestehender Verschwörungsideologien eingewoben worden, knüpfen sie doch von der Struktur her nahtlos an "Theorien" beispielsweise zum "Klimawahnsinn" an: So wird beispielsweise behauptet, das Virus sei gar nicht neu - so wie "Klimaskeptiker" den weltweit dokumentierten Klimawandel lediglich als Teil eines natürlichen Zyklus bezeichnen.
Lassen sich aber bestimmte Phänomene nicht mehr abstreiten - beispielsweise Aussagen von Ärzten, die über die schwierige Behandlung von Covid-19-Patienten berichten oder die weltweit steigende Zahl von Todesopfern - werden die Angaben generell angezweifelt oder geleugnet. Die Überlastung von Krankenhäusern beispielsweise in Norditalien liege, glaubt man selbst ernannten Experten, lediglich am angeblich maroden Gesundheitssystem und habe mit der Pandemie eigentlich nichts zu tun. So zumindest die Behauptungen.
Kronzeugen
Als Fundament der Verschwörungsideologien reichen wenige Zitate von einigen Kronzeugen; beispielsweise die Ausführungen des ehemaligen Amtsarzts Wolfgang Wodarg, die auch über große Medien verbreitet und immer wieder zitiert werden. Dass diese neuen Stichwortgeber der "Corona-Skeptiker" entscheidende Details einfach weglassen und sich viele Entwicklungen noch gar nicht bewerten lassen, spielt keine Rolle.
Auch die Tatsache, dass der überragende Teil der internationalen Wissenschaft zu vollkommen anderen Einschätzungen bezüglich der Gefahr durch Sars-CoV-2 kommt und vor vorschnellen Urteilen warnt, wird kurzerhand als weiterer Beleg für die Richtigkeit der eigenen Weltsicht interpretiert. Denn ein zentrales Element von Verschwörungsideologien ist, dass deren Anhänger sich als kleine, kritische Minderheit inszenieren, die im Gegensatz zur tumben Mehrheit die Wahrheit erkannt habe.
Geprägt sind solche Weltbilder von einer festen Dichotomie: Auf der einen Seite stehen die finsteren Verschwörer beziehungsweise die Eliten, auf der anderen Seite die Opfer der Verschwörung oder das einfache Volk. So funktioniert die simple und stets gleiche Struktur; Differenzierungen und Grautöne finden sich nicht.
Wem nützt es?
Unklar bleibt aber, warum "die Eliten" eine Pandemie erfinden sollten. Die drastischen Einschränkungen zur Eindämmung von Corona verursachen mutmaßlich allein in Deutschland Schäden in Höhe von Hunderten Milliarden Euro und könnten die gesamte Weltwirtschaft in eine schwere Krise reißen. Welche Regierung daran ein Interesse haben sollte, bleibt unklar. Zudem warnen nicht nur einzelne, sondern auch miteinander konkurrierende Staaten weltweit vor der Pandemie. Hatte beispielsweise US-Präsident Donald Trump zunächst noch behauptet, es handele sich lediglich um eine Grippe, will auch er mittlerweile von solchen Vergleichen nicht mehr wissen. Sogar Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro scheint die Hilferufe aus seinem Land nicht mehr ignorieren zu können.
Thesen, wonach die Pandemie lediglich eine normale Grippewelle sei, werden derzeit schnell von der Realität eingeholt. So hatten beispielsweise in Deutschland Homöopathen behauptet, Ende März sei Corona bereits ausgestanden. In den USA sei ein Pastor, der im Kontext von Corona von einer Hysterie gesprochen habe, an Covid-19 gestorben, wie Medien berichten.
Grotesker Aktivismus
Angesichts dieser dynamischen Entwicklung flüchten sich einige Fanatiker in grotesken Aktivismus, um ihre Mythen zu stützen: In den USA filmen Anhänger von Verschwörungslegenden aus dem Auto heraus Eingänge von Kliniken. Weil dort keine Schlangen und kein Chaos zu sehen sind, folgern sie, es gebe auch keine nennenswerte Zahl von Covid-19-Patienten mit schweren Krankheitsverläufen. Auch in London tauchten solche Videos auf, ebenso in Berlin und München.
In der bayerischen Hauptstadt war es eine Frau, die abends vor einer Krebsklinik ein Video drehte. Sie fragte einen Mann am Empfang, ob die Intensivstation überlastet sei. Der sagte, es sei alles ruhig, was im Netz als Beleg interpretiert wurde, dass die Situation entspannt sei - anders, als medial dargestellt. Der Haken an der Sache: Es wurde überhaupt nicht behauptet, dass die Klinik durch Covid-19-Patienten überlastet sei.
In Großbritannien berichten Medien, 5G-Sendemasten seien attackiert worden. Hintergrund sind demnach möglicherweise Verschwörungsmythen, wonach der neue Mobilfunkstandard die Verbreitung des Corona-Virus beschleunige. Eine Legende, die in diversen Versionen bereits seit Monaten kursiert.
Eine Frage des Glaubens
Unabhängig davon, wie sich die Pandemie weiter entwickelt, dürften Scharlatane ihre kruden Theorien entsprechend anpassen, um ihre Kundschaft weiter zu bedienen: Wird die Zahl der Todesopfer durch Corona stark steigen, dürfte wahlweise davon die Rede sei, die Menschen seien gar nicht an Covid-19 gestorben - oder: die Eliten führten einen Krieg gegen das Volk. Sollte die Zahl der Opfer hingegen durch drastische Maßnahmen begrenzt werden, könnten "Corona-Skeptiker" behaupten, die Warnungen seien übertrieben gewesen.
Genau das macht Verschwörungsideologien so attraktiv und gefährlich: Wer sich erst einmal auf solche Erklärungsmuster eingelassen hat, braucht die eigene Wahrnehmung nicht mehr zu hinterfragen. Geglaubt wird einfach das, was ins eigene Weltbild passt - alles andere ist demnach lediglich ein großer, weltweiter "Corona-Schwindel".