Debatte über Grundrente Gleichungen mit vielen Unbekannten
Was soll eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung kosten? Ist sie "billiger" als Steuersenkungen, die von der Union gefordert werden? Derzeit kursieren in Berlin Gleichungen mit vielen Unbekannten.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hat die Pläne der SPD für eine Reform der Sozialpolitik verteidigt. Alle Vorschläge seien finanzierbar, sagte Weil auf NDR Info. So koste die geplante Grundrente maximal so viel, wie die CDU an Steuererleichterungen für besonders hohe Einkommen vorsehe.
Bei einer Grundrente sei von etwa fünf Milliarden Euro die Rede, sagte Weil. Das sei so viel oder sogar weniger, als die Union an Steuererleichterungen für besonders hohe Einkommen fordere.
Finanzministerium bestätigt Zahlen
Auf Anfrage des ARD-faktenfinder verwies die Staatskanzlei in Hannover bei Weils Aussagen auf Berechnungen, wonach die komplette Abschaffung des Soli-Zuschlags - so wie von der Union gefordert - die Steuereinnahmen um weitere zehn Milliarden Euro verringern würden.
Das Bundesfinanzministerium erklärte auf Anfrage, diese Zahl sei zutreffend. Die Koalition plant, den Soli-Zuschlag weitestgehend abzuschaffen, für große Einkommen aber beizubehalten. Dies würde etwa zehn Milliarden Euro weniger pro Jahr einbringen. Würde der Soli komplett wegfallen, würden die Steuerausfälle insgesamt bei etwa 20 Milliarden Euro liegen, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums.
Die Zahl von etwa fünf Milliarden Euro für die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung wurde von der SPD selbst genannt. Die SPD gehe davon aus, dass die Pläne im Jahr mit vier bis 6,5 Milliarden Euro zu Buche schlagen, wie der Haushaltspolitiker Johannes Kahrs dem Deutschlandfunk sagte.
CDU geht von höheren Kosten aus
Diese Zahlen werden wiederum aus der Union angezweifelt. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, Carsten Linnemann (CDU), kritisierte im Deutschlandfunk, das SPD-Modell werde neue Ungerechtigkeiten schaffen und bis zu acht Milliarden Euro im Jahr kosten. CSU-Chef Markus Söder sagte, das SPD-Modell sei gar nicht zu finanzieren, nannte aber keine Zahlen.
Grundrente im Koalitionsvertrag
Im Koalitionsvertrag hatten sich Union und SPD generell auf eine Grundrente geeinigt. "Die Lebensleistung von Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, soll honoriert und ihnen ein regelmäßiges Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs zugesichert werden", heißt es in dem Vertrag. Die Grundrente gelte "für bestehende und zukünftige Grundsicherungsbezieher, die 35 Jahre an Beitragszeiten oder Zeiten der Kindererziehung bzw. Pflegezeiten aufweisen". Voraussetzung für den Bezug sei eine Bedürftigkeitsprüfung.
Genau diese Prüfung lehnt Arbeitsminister Hubertus Heil nun aber ab: 900 Euro Rente für alle, die 35 Jahre gearbeitet haben, so lautet seine Formel.
Angeblich Differenz von 4,8 Milliarden Euro
Unionspolitiker bestehen auf eine Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung. Angeblich sind die Unterschiede zwischen den Modellen massiv. So berichtete die "Bild"-Zeitung, nach dem SPD-Konzept hätten bis zu vier Millionen Menschen Anspruch auf die Grundrente, die Kosten würden rund fünf Milliarden Euro im Jahr betragen. Eine Bedürftigkeitsprüfung würde die Zahl der Bezieher auf rund 130.000 Menschen reduzieren. Die jährlichen Kosten lägen dann nur noch bei rund 200 Millionen Euro statt fünf Milliarden.
Die Zeitung bezog sich dabei auf die Deutsche Rentenversicherung, die auf Anfrage die Zahlen aber nicht bestätigen konnte. Die "Bild" habe "vermutlich" die Zahlen aus der "Rentenversicherung in Zahlen 2018" (S. 40 bis 47) verwendet "und dort Versichertenrenten mit einer Entgeltposition unter 0,8 und mindestens 35 Jahren an Beitrags- und beitragsfreien Zeiten zusammengerechnet", erklärte ein Sprecher. Er betonte aber, dass die vorliegenden Eckpunkte des Konzeptes von Arbeitsminister Heil noch nicht so konkret seien, dass auf dieser Grundlage genaue Aussagen zur Zahl der Begünstigten gemacht werden könnten.
12,80 Euro nötig, um ohne Grundsicherung auszukommen
Die Linksfraktion wollte derweil von der Bundesregierung wissen, wie hoch eigentlich der Mindestlohn sein müsste, damit Menschen nach ihrem Arbeitsleben nicht in der Grundsicherung landeten. Die Regierung antwortete, der durchschnittliche Bruttobedarf der Grundsicherung im Alter betrage 814 Euro - Stand Dezember 2017. Um eine Nettorente oberhalb dieses Betrags zu erhalten, wäre bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden über 45 Jahre versicherungspflichtiger Beschäftigung hinweg rechnerisch ein Stundenlohn von 12,80 Euro erforderlich.
Die Linksfraktion forderte, dass daher der Mindestlohn dringend angehoben werden müsse - von derzeit 9,19 auf zwölf Euro. Genau das strebt auch die SPD an. Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, erklärte dazu gegenüber tagesschau.de, sie freue sich, dass sich die Sozialdemokraten nun dieser Forderung angeschlossen hätten.
Konzept zur Finanzierung gefordert
Der Chefhaushälter der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, forderte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) derweil auf, ein Finanzierungskonzept für das SPD-Sozialstaatsprogramm vorzulegen. "Nachdem Bundesfinanzminister Scholz das SPD-Programm in der Öffentlichkeit als realisierbar und finanzierbar dargestellt hat, hat er die Bringschuld, das Paket finanziell zu untersetzen", sagte Rehberg der "Rheinischen Post".
Arbeitsminister Heil hatte angekündigt, seinen Gesetzentwurf für eine Grundrente bis zur Sommerpause vorzulegen. Bis dahin soll mehr Klarheit in die Gleichungen mit Unbekannten gebracht werden.