Antibabypille
Kontext

Social Media Viele Falschbehauptungen über Antibabypille

Stand: 21.10.2024 08:42 Uhr

Vor allem auf TikTok gibt es den Trend, alles vermeintlich Natürliche zu glorifizieren. Die Antibabypille gehört nicht dazu - weshalb einige Influencer von ihr abraten. Dabei sind pauschale Aussagen aus Expertensicht wenig hilfreich.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Schlechtere Haut, Gewichtszunahme, Unfruchtbarkeit: In zum Teil millionenfach gesehenen Videos auf TikTok schildern viele junge Frauen die Nebenwirkungen, die die Einnahme der Antibabypille angeblich bei ihnen ausgelöst hat. Für den Einzelfall lässt sich nicht nachvollziehen, welche dieser Geschichten stimmt und welche nicht. Allerdings sind einige der Aussagen, die in diesen Videos über die Pille getätigt werden, aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar.

Was für Pillenarten gibt es?

Es wird zwischen zwei Pillenarten unterschieden: Kombinationspillen und Gestagenpillen. Die Kombinationspille enthält als Wirkstoffe ein Östrogen und ein Gestagen. Bei den heute auf dem Markt eingesetzten Kombinationspillen handelt es sich um sogenannte Mikropillen, bei denen der Östrogenanteil sehr niedrig dosiert ist. Die Gestagenpille enthält gar kein Östrogen und hat als alleinigen Wirkstoff ein Gestagen. Bei der sogenannten Minipille ist das Gestagen sehr niedrig dosiert und hemmt die Ovulation nicht sicher, während die modernen Gestagen-Monopräparate höher dosiert sind und die Ovulation hemmen.

Pille macht nicht unfruchtbar

Einige Userinnen behaupten beispielsweise, dass sie durch die Pille unfruchtbar geworden seien, dass sie nach der Absetzung des Verhütungsmittels nicht schwanger werden konnten. "Das ist schlichtweg absoluter Unfug", sagt Anneliese Schwenkhagen, Fachärztin für Gynäkologie und spezialisiert auf Patientinnen mit hormonellen Störungen. Denn das sei schon aufgrund der Wirkweise der Pille sehr unwahrscheinlich.

Durch die Hormone in der Pille wird dem Körper vorgegaukelt, dass sich der Körper in der sogenannten Lutealphase befindet, also nach dem Eisprung. Dadurch wird verhindert, dass die Eierstöcke angeregt werden und eine neue Eizelle heranreift. Wenn die Pille abgesetzt wird, springe der Mechanismus normalerweise wie auch nach einer Schwangerschaft sofort wieder an, so Schwenkhagen.

Dass manche Frauen die Pille dafür verantwortlich machen, nach der Absetzung nicht schwanger werden zu können, begründet Schwenkhagen damit, dass durch die Pille die ursprünglichen Probleme kaschiert werden. "Durch die Pille merken die Frauen oftmals nicht, dass sie zum Beispiel unregelmäßige Zyklen haben. Das wird dann erst nach dem Absetzen der Pille bemerkt und dann irrtümlicherweise damit verbunden."

Keine Gewichtszunahme

Auch dass die Pille für eine Gewichtszunahme sorgt, ist aus wissenschaftlicher Sicht falsch. "Ob eine Pille dick macht, wird im Rahmen von Zulassungsstudien immer ganz genau untersucht, weil es natürlich ein kritischer Punkt ist", sagt Schwenkhagen. Denn eine Gewichtszunahme durch die Pille wäre aus medizinischer Sicht ein K.o.-Kriterium, da sie gesundheitliche Nachteile mit sich bringe und somit nicht im Einklang mit dem Nutzen durch die Pille stünde.

Dass sich der Mythos über eine vermeintliche Gewichtszunahme durch die Pille so hartnäckig hält, hat aus Sicht von Schwenkhagen vor allem einen Grund: das Alter. "Älter werden macht statistisch gesehen dick. Je älter ein Mensch wird, desto mehr wiegt er im Durchschnitt." Viele fingen an, die Pille zu nehmen, wenn sie noch verhältnismäßig jung seien. Doch mit zunehmenden Alter ändere sich auch oft der Lebensstil, es bleibt beispielsweise weniger Zeit für Sport als während der Schulzeit. Die Gewichtszunahme habe daher meistens nichts mit der Pille zu tun, sondern mit veränderten Lebensumständen.

Zwar gebe es auch vereinzelt Patientinnen, die durch die Pille einen gesteigerten Appetit haben, so Schwenkhagen. Aber das sei eher die Ausnahme und nicht die Regel. Hinzu komme, dass die modernen Pillen deutlich niedriger dosiert seien als früher. "Bei den höher dosierten Präparaten, die wir früher eingesetzt haben, war das gelegentlich ein Thema. Heute spielt es in der Regel keine Rolle mehr."

Was sind die häufigsten Nebenwirkungen?

In einigen TikTok-Videos wird zudem auf den großen Beipackzettel der Pille hingewiesen, um zu suggerieren, dass es zahlreiche Nebenwirkungen gibt. "Wenn ein Medikament zugelassen wird, muss im Beipackzettel alles aufgeführt werden, was im Rahmen von Zulassungsstudien beobachtet wird", sagt Schwenkhagen. Auch die Nebenwirkungen, die sehr selten vorkommen. Daher sei auch bei anderen Medikamenten wie Aspirin der Beipackzettel verhältnismäßig groß.

Wirklich relevant sei mit Blick auf mögliche Nebenwirkungen bei der Pille vor allem das Thromboserisiko. Bei einer Thrombose wird ein Blutgefäß durch ein Blutgerinnsel verschlossen, das in die Lunge wandern und zu einer tödlichen Lungenembolie führen kann. Doch nicht jede Pille erhöht das Thromboserisiko gleichermaßen.

Bei Frauen, die nicht schwanger sind, liegt die geschätzte Inzidenz, an einer Thrombose zu erkranken, bei zwei Fällen pro 10.000 Frauen in einem Jahr. Bei Kombinationspillen unterscheidet sich die Inzidenz je nach Gestagen von fünf bis sieben Fällen bis zu neun bis zwölf Fällen. Bei der Gestagenpille hingegen haben Frauen kein erhöhtes Thromboserisiko. Zum Vergleich: Bei einer Schwangerschaft ist das Thromboserisiko deutlich höher, hier liegt die geschätzte Inzidenz bei ein bis zwei Fällen pro 1.000 Frauen.

Insgesamt ist das Thromboserisiko in den ersten Monaten nach Beginn der Anwendung einer Kombinationspille am höchsten. Macht man eine Pillenpause und fängt danach wieder mit der Pille an, fällt das Risiko in dieser Zeit ab, schnellt danach aber wieder hoch, wenn man neu beginnt. Das Absetzen der Pille sollte man sich daher gut überlegen, da dies immer wieder mit einer deutlichen Steigerung des Thromboserisikos verbunden ist, so Schwenkhagen.

Verschiedene Faktoren wie beispielsweise Übergewicht, Rauchen oder eine familiäre Thromboseneigung erhöhen das Risiko. In diesen Fällen sollte auf die Anwendung eines Kombinationspräparates verzichtet werden und stattdessen nach einer Alternative gesucht werden, sagt Schwenkhagen.

Mehr Forschung nötig zu psychischen Folgen

Eine weitere Nebenwirkung, die in den sozialen Netzwerken viel thematisiert wird, sind Depressionen. Grundlage dafür sind zwei Studien aus Dänemark, derzufolge eine Korrelation zwischen hormoneller Verhütung und Depressionen sowie Suizidalität besteht - vor allem bei jungen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren. Eine weitere Studie aus Schweden bestätigte diese Ergebnisse. Demnach ist das Depressionsrisiko vor allem in den ersten zwei Jahren der hormonellen Verhütung deutlich erhöht.

Allerdings ist noch nicht gesichert, ob es sich dabei auch um einen kausalen Zusammenhang handelt, also ob die hormonelle Verhütung auch wirklich ursächlich für das erhöhte Depressionsrisiko ist, so Schwenkhagen. Denkbar wäre zum Beispiel auch, dass Frauen, die verhüten, wahrscheinlicher in einer Beziehung sind und Beziehungen ebenfalls ein Risikofaktor dafür sein können, dass Frauen an Depressionen erkranken. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass hormonelle Verhütung das Depressionsrisiko vor allem bei jungen Frauen erhöht, sagt Schwenkhagen.

Selbst körpereigenes Progesteron, welches nach dem Eisprung vom Gelbkörper gebildet wird, kann bei manchen Frauen zu erheblichen psychischen Problemen führen. Dies gilt zum Beispiel für die prämenstruelle dysphorische Störung, der schwersten Form des prämenstruellen Syndroms, eine Krankheit, bei der Frauen in der zweiten Zyklushälfte durch das körpereigene Progesteron unter andrem an depressiven Verstimmungen, Reizbarkeit oder Aggressivität leiden. Therapiert wird die Krankheit oftmals mit der Pille, um die Hormonschwankungen zu verhindern beziehungsweise den Eisprung zu unterdrücken.

"Das zeigt, dass es bestimmte Gruppen von Frauen gibt, die selbst auf ihr körpereigenes Progesteron mit einer Krankheit reagieren. Es ist daher nicht überraschend, dass dies auch unter der Anwendung von Ovulationshemmer passieren kann", sagt Schwenkhagen. "Es ist wichtig zu klären zu klären, welche Frauen besonders anfällig dafür sind." Dafür sei jedoch mehr Forschung notwendig. "Es ist jedoch keinesfalls so, dass alle Frauen, die die Pille nehmen, plötzlich damit rechnen müssen, dass sie depressiv werden."

"Es geht immer um den Einzelfall"

Nach Ansicht von Schwenkhagen ist das große Problem, dass in vielen Beiträgen in den sozialen Netzwerken pauschale Aussagen über die Pille getroffen werden. "Es geht immer um den Einzelfall", sagt sie. Denn während es bei einigen Frauen zum Beispiel aufgrund von Vorerkrankungen wie Migräne mit Aura richtig sei, auf eine hormonelle Verhütung mit einem Kombinationspräparat zu verzichten, gebe es wiederum bei anderen Krankheitsbildern wie beispielsweise Endometriose gute Gründe, die Pille zu nehmen. Für betroffene Frauen sei es in dem Fall sogar sinnvoll, die Pille durchgehend einzunehmen, ohne Pausen.

Neben der Verhinderung einer Schwangerschaft biete die Pille auch einige weitere Vorteile, zum Beispiel für Frauen, die unter starken Regelschmerzen litten. Zudem senkt die Pille das Risiko, an Eierstockkrebs oder Endometriumkrebs zu erkranken, deutlich. Das Brustkrebsrisiko wiederum wird durch die Pille leicht erhöht.

"Das zeigt, dass es nicht möglich ist, ein pauschales Urteil über die Pille zu fällen", sagt Schwenkhagen. "Auf der einen Seite gibt es Hinweise darauf, dass es manchen Frauen nicht gut tut, sie zu nehmen. Und auf der anderen Seite gibt es Studien, die zeigen, dass sie Frauen helfen kann." Bei wem die Pille sinnvoll sei und bei wem nicht, sollte deshalb individuell in einem Gespräch mit dem Gynäkologen geklärt werden.

Die Nutzung der Pille in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Allerdings ist sie im Vergleich zu anderen Verhütungsmethoden wie zum Beispiel das Kondom sicherer. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist in Deutschland vergangenes Jahr auf rund 106.000 gemeldete Fälle gestiegen - so viele wie seit 2012 nicht mehr.