Studie zu russischer Propaganda Der Krieg in den Netzen
Fast zwei Jahre liegt der Beginn der russischen Großinvasion auf die Ukraine zurück. Seitdem hat sich der internationale Informationskrieg verschärft. Eine aktuelle Studie beleuchtet die Strategien Russlands.
Nicht erst seit dem massiven Angriffskrieg in der Ukraine ist Russland weltweit mit Propaganda aktiv. Seit dem 24. Februar 2022 wurde sie jedoch massiv ausgebaut und erreichte eine neue Qualität. Das zeigt eine aktuelle Überblicksstudie des Institute for Strategic Dialogue (ISD).
Vermehrte Anwendung konspirativer Taktiken
Eine Erkenntnis: Offen agierende staatliche Medien wie RT und Sputnik verloren durch EU-Sanktionen an Bedeutung, haben jedoch insbesondere in Lateinamerika sowie im Nahen Osten und Nordafrika weiterhin großen Einfluss. Allerdings kann die russische Propaganda im Westen auf Strukturen zurückgreifen, die sich bereits in den Jahren vor der Invasion gebildet haben.
Sie bestehen aus Menschen, die den politischen Institutionen und etablierten Medien ohnehin schon misstrauen und daher besonders anfällig für den Einfluss aus dem Kreml sind. Inzwischen wurden konspirative Netzwerke aufgebaut, die Falschinformationen verbreiten, beispielsweise über angebliche Verbrechen ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland.
Social Media, Fake-Accounts und Fälschungen
Während in Russland die sozialen Medien und der freie Zugang zu Informationen weitgehend eingeschränkt wird, nutzt dessen Führung gerade diese Errungenschaften im Rest der Welt: Reale wie virtuelle Influencer, Whistleblower, Aktivisten sowie vermeintlich unabhängige Experten, Wissenschaftler und Journalisten sollen Vertrauen schaffen. Gleichzeitig werden Webseiten etablierter Medien gefälscht. Zudem gibt es Indizien für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz.
Eine weitere wichtige Rolle spielen Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere jene, die sozial und sprachlich weniger integriert sind. Sie werden von russischen Staatsmedien als Kernzielgruppe gesehen, für sie wird spezifische Propaganda entwickelt.
Wenig Berührungsängste mit Extremisten aller Art
Dabei legen die Propagandisten eine erstaunliche politische Flexibilität an den Tag: Pragmatisch bedienen sie sich Randgruppen und Institutionen mit den unterschiedlichsten ideologischen Ausrichtungen - solange sie nur Russlands geostrategische Agenda unterstützen, bestehende Institutionen delegitimieren sowie Unsicherheit und Konflikte fördern. Zentrale Themen sind dabei Migration, Klimawandel, NATO-Kritik sowie Gender- und Gesundheitspolitik. Auch vor der Instrumentalisierung antisemitischer Narrative schrecken sie nicht zurück.
Insbesondere bei Vertretern von Verschwörungsmythen und Gegnern der Covid-Maßnahmen fallen solche Manipulationen auf fruchtbaren Boden. Sie vertrauten bereits während der Pandemie auf russische Medien - obwohl diese im eigenen Land oft gegenteilige Positionen, zum Beispiel zu Impfungen, vertreten.
Weiterhin bedient Moskau Protagonisten und Institutionen, die vor zehn Jahren im Zusammenhang mit den "Montagsmahnwachen" populär wurden. Die russische Propaganda verstehe sich gut darauf, auf bestehende und sich entwickelnde Proteste aufzusatteln, um diese zu instrumentalisieren - auch auf solche, die eine legitime Basis haben, so die Autoren zum ARD-faktenfinder. Dabei setze man insbesondere auf Online-Taktiken, die wie Brandbeschleuniger wirkten.
Die Studie benennt in diesem Zusammenhang das Bündnis Sahra Wagenknecht als einen neuen und wichtigen Akteur: Die Partei schüre Ängste vor einem ökonomischen Abstieg Deutschlands und vor zunehmender Migration, während sie gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und für Friedensverhandlungen eintrete, so die Autoren.
Strategie und Taktik ergänzen sich
Russland verfolgt im Informationskrieg sowohl langfristige Pläne als auch kurzfristige taktische Ziele: So ist die Propaganda in der Lage, schnell und flexibel auf spezifische Ereignisse zu reagieren und diese für sich zu instrumentalisieren - mit der Absicht, die westliche Allianz und ihre Institutionen zu schwächen sowie eine russische Vorherrschaft aufzubauen.
Laut der Studie lassen sich aktuell vier zentrale Strategien erkennen:
- Unbehagen über die Kosten für die Unterstützung der Ukraine schüren, insbesondere im Zusammenhang mit der steigenden Einwanderung und stagnierenden Wirtschaft
- Isolationismus in der amerikanischen Außenpolitik fördern
- Kremlfreundliche Rechtsaußen-Parteien bei den Europäischen Parlamentswahlen unterstützen
- Westliche Werte wegen angeblicher Doppelstandards in Bezug auf Konflikte delegitimieren, insbesondere bei der Bewertung des Krieges im Nahen Osten
Studie spricht von Wendepunkt
Zwei Jahre nach der russischen Invasion sieht das ISD einen Wendepunkt beim Thema Ukraine. Die Autoren der Studie befürchten, dass russische Propaganda die Zukunft einer liberalen Ordnung gefährdet, die das Überleben eines demokratischen Landes sichern kann, das sich gegen eine aggressive militärische Supermacht wehrt. Die Schwachstellen bei der Abwehr erforderten dringende Aufmerksamkeit und Wachsamkeit - insbesondere in einer Zeit, in der gemeinsames Vorgehen westlicher Regierungen unabdingbar sei, um das militärische Gleichgewicht entscheidend zu verändern und die Ukraine in die Lage zu versetzen, die russischen Streitkräfte abzuwehren.
Das Institute for Strategic Dialogue (ISD, Institut für strategischen Dialog) wurde 2006 als Nichtregierungsorganisation in Großbritannien gegründet. Inzwischen hat es Standorte in Washington, Berlin, Amman, Nairobi and Paris. in Zu seinen Zielen gehören Extremismus- und Terrorismusbekämpfung, Bildung sowie die Förderung der globalen Stellung Europas und der Zivilgesellschaft.
Die Projekte des ISD werden unter anderem von der Bundesregierung sowie von privaten Stiftungen finanziert, darunter die Alfred Landecker Foundation, die Gemeinnützige Hertie Stiftung, die Robert Bosch Stiftung sowie die Bill & Melinda Gates Foundation. Die Finanziers müssen sich bereit erklären, den ethischen Prinzipien des ISD zu folgen.