Sterbewilliger Ehemann getötet BGH spricht Frau nach Insulin-Überdosis frei
Eine Frau, die ihrem schwer kranken Mann auf dessen Wunsch nach der Einnahme von Tabletten eine tödliche Dosis Insulin gespritzt hat, hat sich laut BGH nicht strafbar gemacht. Patientenschützer kritisieren die Entscheidung scharf.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine Frau freigesprochen, die ihrem bettlägerigen Ehemann auf dessen Wunsch eine tödliche Überdosis Insulin gespritzt hatte. Die frühere Krankenschwester habe sich "unter keinem Gesichtspunkt strafbar gemacht", entschied der sechste Strafsenat in Leipzig.
Denn nicht sie, sondern ihr seit Jahren kranker Mann habe das zum Tod führende Geschehen beherrscht, hieß es in dem nun veröffentlichten Beschluss vom 28. Juni. Der Mann habe zunächst eigenständig Tabletten eingenommen, die ihn töten sollten - das Insulin habe vor allem "der Sicherstellung des Todeseintritts" gedient. Er sei auch noch eine Weile bei Bewusstsein gewesen und hätte darum bitten können, den Notruf zu wählen.
Der BGH wertete das Geschehen daher als einen "einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein" der Mann bestimmte. Seine Frau habe ihm das Insulin gespritzt, weil ihm das wegen seiner krankheitsbedingten Beeinträchtigungen schwergefallen sei. Sie habe ihren Mann nicht durch aktives Tun getötet. Vielmehr handele es um straflose Beihilfe zum Suizid, weil der "Sterbewillige bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal" gehabt habe. Der BGH bezog sich dabei auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Selbsttötung.
Frühere Bewährungsstrafe aufgehoben
Das Landgericht Stendal hatte die Frau im November 2020 wegen Tötung auf Verlangen zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Ihr Mann habe sein Leben in ihre Hand gelegt. Der BGH erklärte jedoch, das werde "den Besonderheiten des Falles nicht gerecht".
Der Mann hatte seit vielen Jahren unter verschiedenen Krankheiten und großen Schmerzen gelitten und oft den Wunsch geäußert, sterben zu wollen. An seinem Sterbetag nahm er zunächst alle im Haus verfügbaren Medikamente ein und bat dann seine Frau, ihm alles vorrätige Insulin zu spritzen, was diese auch tat. Er starb an Unterzuckerung infolge der hohen Dosis Insulin.
Die eingenommenen Tabletten seien ebenfalls dazu geeignet gewesen, ihn zu töten, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt, erklärte der BGH. Es sei "letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten". Auf Bitten der Frau hatte ihr Mann seine Haltung schriftlich dokumentiert.
Kritik von Patientenschützern
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte die Entscheidung des BGH. "So ist der Damm zur aktiven Sterbehilfe gebrochen", sagte Vorstand Eugen Brysch. "Überraschend unterstellt der BGH einer einwilligungs- und handlungsfähigen Person, dass sie ihren Willen selbst nicht umsetzen könne." Damit werde die Tötung durch jemand anderen gebilligt.
"Der Bundesgerichtshof hat mit seiner Entscheidung das strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen de facto aufgehoben", so Brysch. Der Bundestag müsse "das Verbot der Euthanasie in voller Trennschärfe klarstellen". Brysch äußerte die Befürchtung, der gesellschaftliche Druck auf Alte, Pflegebedürftige, Schwerstkranke und Menschen mit Behinderung könne steigen.
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(Az. 6 StR 68/21)