Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz nehmen in einem Fernsehstudio bei einer Diskussionsrunde teil.
Analyse

Wahlkampf 2021 Schlacht der Schlagworte

Stand: 10.08.2021 13:48 Uhr

Einen fairen Wettbewerb haben die meisten Parteien versprochen, doch bislang dominieren persönliche Vorwürfe den Wahlkampf. Im Netz tobt eine Schlacht der Schlagworte, um politischen Gegnern zu schaden.

Eine Analyse von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Laschet lügt, Baerbock lügt, Scholz lügt, Laschets Welle, Grüne verhindern, Baerbock Gate, Laschet lacht, Merz lügt - dies sind nur einige der Hashtags (Schlagworte), die in den vergangenen Wochen in sozialen Medien die politischen Debatten bestimmt haben.

Auf Twitter, Facebook und Instagram liefert sich ein Mikrokosmos aus Politikerinnen und Politikern, deren Anhängerschaft, Publizisten sowie verschiedene Multiplikatoren einen kontinuierlichen Schlagabtausch über die Deutungshoheit aktueller Themen und Ereignisse im Wahlkampf.

SPD-Video sorgt für Kontroverse

Die Parteien befeuern diese konfrontative Form der Auseinandersetzung: Die SPD veröffentlichte ein Video, das nicht eigene Forderungen aufführt, sondern darauf abzielt, die Union zu attackieren. Die Sozialdemokraten nehmen dabei unter anderem Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg-Maaßen ins Visier, der immer wieder versucht, durch groteske Beiträge die bundesweite Aufmerksamkeit auf seinen Kampf um einen Direktmandat für die CDU im Süden Thüringens zu lenken.

Auch der Chef der Staatskanzlei in NRW, Nathanael Liminski, wird in dem Video gezeigt. Dazu heißt es, wer Laschet wähle, wähle erzkatholische Vertraute, für die Sex vor der Ehe tabu sei. Dies spielt auf eine Äußerung von Liminski an, die dieser 2007 in der ARD-Sendung Maischberger als eine "persönliche Entscheidung" rechtfertigte. In der Sendung sprach er sich auch "gegen jede Art von künstlicher Verhütung" aus. Der heutige Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei war damals noch Student.

2009 - also vor zwölf Jahren - waren auch mehrere Beiträge von Liminski auf der Plattform "Die freie Welt" veröffentlicht worden, die von dem Ehemann von Beatrix von Storch herausgegeben wird. Der WDR-Journalist Jochen Trum schrieb zu den verschiedenen Vorwürfen, das sei "lange her und taugt kaum zur Beurteilung des jetzigen Chefs der Staatskanzlei. Jüngere Äußerungen, aus denen sich ein äußerst konservatives Weltbild ergeben würde, gibt es nicht". Inzwischen sagte der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz der "Neuen Osnabrücker Zeitung", dass das umstrittene Video nicht genutzt werde.

Merz setzt auf Migrationspolitik

Für die Union wirft sich Friedrich Merz gerne ins Getümmel, er wirft den Grünen in einem kurzen "Focus"-Gastbeitrag vor, möglichst viele Einwanderer nach Deutschland einladen zu wollen - unabhängig von ihrer "Integrationsfähigkeit". Was das genau bedeuten soll, bleibt unklar. Auf Twitter verbreitete Merz seine Vorwürfe noch einmal, um die Reichweite zu erhöhen.

Grüne und deren Anhänger, aber auch Journalistinnen und Analysten, wiesen die Äußerungen von Merz als Lüge zurück. Das Hashtag Merzlügt macht die Runde. Und auch haben die Grünen keine Pläne für eine Einladung an möglichst viele Migranten nach Deutschland in der Schublade liegen. Dass im Wahlprogramm der Partei allerdings tatsächlich mehrfach betont wird, man wolle Migration erleichtern und fördern - das ist kaum ein Thema.

Die Aussage von Merz ist polemisch und überzogen formuliert - hätte für die Grünen aber auch eine Vorlage sein können, die eigenen Vorschläge zur Migrationspolitik zu bewerben. Offenkundig sehen sie dieses Thema aber nicht als unbedingt geeignet für den Wahlkampf an.

Attacken auf Baerbock

Ein Wahlkampf, der schon länger mit harten Bandagen geführt wird: Annalena Baerbock wurde direkt nach der Bekanntgabe ihrer Kandidatur massiv angefeindet, in sozialen Medien sexistisch attackiert und mit Verschwörungslegenden überzogen. Sie sei eine Marionette des Milliardärs George Soros, so lautete eine Falschmeldung. In Facebook-Gruppen wie "Baerbock verhindern" und auf Telegram-Kanälen werden gezielt Grafiken verbreitet, die sie diskreditieren sollen.

Interaktionen von Schlagwörtern auf Facebook (Quelle: Crowdtangle)
Schlagwort Interaktionen
Laschet lacht 340.000
Baerbock verhindern 207.500
Laschet lügt 42.500
Baerbock lügt 14.500
Merz lügt 3500 (seit 8. August)

Aber auch die einflussreiche Lobby-Organisation INSM schaltete sich mit einer Anzeigenkampagne gegen Baerbock in den Wahlkampf ein - und erntete viel Kritik, da mehrere Behauptungen darin teilweise schlicht falsch waren.

Damit war der Ton gesetzt - und die Differenzierung zwischen sachlicher Kritik und persönlichen Angriffen wurde zunehmend schwierig. So gab es durchaus sachlich begründete Kritik an Baerbock und ihrem Krisenmanagement, wie bei den Plagiatsvorwürfen oder den "Anpassungen" an ihrem Lebenslauf. Nicht jede Kritik ist gleich eine Kampagne. Genauso muss sich CDU-Chef Laschet mittlerweile Fragen zu seinem Buch aus dem Jahr 2009 gefallen lassen und räumte Fehler diesbezüglich ein.

Fraglich ist nur, wie relevant solche Vorwürfe überhaupt sind. Manche sehen darin vollkommen überbewertete Details; andere meinen, wer Kanzlerin oder Kanzler werden wolle, müsse auch damit rechnen, dass genau solche vermeintlichen Kleinigkeiten für die Bewertung einer Person relevant seien.

Den Gesetzen von Social Media folgend

Und so bestimmen bislang vor allem kurzlebige Debatten den Wahlkampf, persönliche Attacken und Unterstellungen ganz den Gesetzen der sozialen Netzwerke folgend, nämlich emotional, oberflächlich und verkürzt. Die Kandidatinnen und Kandidaten sind seit Wochen damit beschäftigt, Fehler zu vermeiden und möglichst keine Angriffsfläche zu bieten.

Der Pianist Igor Levit brachte den Mangel an Mut und konstruktiven Debatten auf den Punkt: "Dass in diesem Wahlkampf kaum jemand die Kraft hat, eine positive Zukunftsgeschichte zu erzählen, gehört für mich zu den frustrierendsten Erfahrungen überhaupt."

Eine Umfrage der Initiative Reset kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass eine Mehrheit einen weniger aggressiven Wahlkampf wünsche.

Der Soziologe Harald Welzer betont, dass Wahlkämpfe inzwischen "hochpersonalisiert" abliefen, einzelne Politiker "auf übelste Weise" persönlich angegriffen würden. Im Gespräch mit dem EPD warnt er: Wenn die politisch Verantwortlichen sich so verhielten, dann lasse sich das nicht über das Beschwören von Werten korrigieren: Zwischen Sonntagsreden und gelebter Praxis bestehe eine große Diskrepanz.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 05. August 2021 um 22:15 Uhr.