Interview

Interview zur Haushaltsplanung des Bundes "Abspecken, aber nicht bremsen"

Stand: 07.07.2010 17:01 Uhr

Unternimmt die Bundesregierung genug, um den Schuldenberg abzubauen - oder würgt ihr Sparkurs die Konjunktur ab? Die Kritik am Bundeshaushalt 2011 und der Finanzplanung bis 2014 ist vielfältig. Die Opposition bezeichnet ihn als sozial unausgewogen, Wirtschaftsvertreter fordern stärkere Sparbemühungen und das Ausland bemängelt, die Bundesregierung tue zuwenig für die Konjunktur. Wie stichhaltig sind diese Vorwürfe? Darüber sprach tagesschau.de mit dem Finanzwissenschaftler Clemens Fuest.

tagesschau.de: Die Bundesregierung senkt im kommenden Jahr die Neuverschuldung, nimmt aber immer noch 57,5 Milliarden Euro auf. Ist das vernünftig – oder hätte die Bundesregierung größere Sparanstrengungen unternehmen müssen?

Clemens Fuest: Das ist aus meiner Sicht vernünftig. Die Schuldenbremse muss eingehalten werden. Das begrenzt die Neuverschuldung nach oben. 2011 noch stärker zu sparen, ist aus meiner Sicht nicht notwendig. Die Konjunktur ist doch noch verletzlich. Insofern ist es richtig, so viel an Krediten aufzunehmen, wie die Schuldenbremse zulässt. Ich würde nicht empfehlen, stärker zu bremsen.

Zur Person

Prof. Clemens Fuest ist Leiter des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium. Der 42-Jährige forscht und lehrt an der Universität Oxford auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung und leitet das dortige Centre for Business Taxation. Fuest leitet auch als geschäftsführender Direktor das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut der Universität Köln.

tagesschau.de: Andererseits soll im kommenden Jahr die Wirtschaft doch beträchtlich wachsen - das wäre doch genau die Zeit, um abzuspecken.

Fuest: Es wird ja auch abgespeckt. Natürlich wird die Konjunktur robust genug sein, um in die Konsolidierung einzusteigen. Dennoch gibt es weiterhin Risiken. Andere europäische Länder sind gezwungen, sehr viel stärker zu sparen. Insofern ist noch unklar, ob die Konjunktur 2011 schon sehr robust sein wird. Deswegen reicht die Begrenzung der Neuverschuldung für 2011 aus.

"Sparbeschlüsse für 2013 rasch fassen"

tagesschau.de: Das heißt aber auch, ab 2012 könnte mehr getan werden.

Fuest: Ja. Spätestens 2014 muss kräftiger gespart werden. In der Finanzplanung gibt es einen ungeklärten Konsolidierungsbedarf von knapp sechs Milliarden Euro, und der muss ausgefüllt werden. Im übrigen wird 2013 ein neuer Bundestag gewählt. Je näher wir an diesen Termin kommen, desto schwieriger wird es, Sparbeschlüsse zu fassen. Und je langfristiger man Kürzungen beschließt, desto größer ist der Spielraum. Kurzfristige Kürzungen gehen häufig auf Kosten der Investitionen. Deswegen müsste man jetzt Beschlüsse fassen, die 2013/2014 wirksam werden.

tagesschau.de: Wo könnte dann der Rotstift angesetzt werden?

Fuest: Zum Beispiel könnte beim Elterngeld gekürzt werden, auch die Mehrwertsteuersätze könnten überprüft werden. Aber da müsste die Regierung bald konkret werden. Wünschenswert wäre es, den ermäßigten Satz bei der Mehrwertsteuer ganz abzuschaffen - das würde 23 Milliarden Euro bringen. Das ist aber politisch nicht durchzusetzen. Ich wäre dafür, alles außer Nahrungsmitteln herauszunehmen. Dadurch würde man wenigstens sechs Milliarden Euro holen, und das sollte man auch tun. Es gibt keinen Grund, Schnittblumen, Rennpferde, Kunstgegenstände und Hotelübernachtungen zu subventionieren. Das kann man sich sparen.

"Ungerechte Erbschaftssteuer sollte reformiert werden"

tagesschau.de: Wie steht es denn mit anderen Einnahmemöglichkeiten - etwa durch einen höheren Spitzensteuersatz, eine höhere Erbschafts- oder neue Vermögenssteuer?

Fuest: Man sollte mit einer Reform der Erbschaftssteuer beginnen. Die letzte Neufassung war in meinen Augen völlig missglückt. Jetzt haben wir ein ungerechtes System mit riesigen Schlupflöchern. Wenn Sie Bundesanleihen erben, sind Sie voll steuerpflichtig. Wenn Sie hingegen Termingeld erben, wird das steuerlich begünstigt. Wenn man die Ausnahmen abschafft und einen niedrigeren Steuersatz zu Grunde legt, würde man mehr Einnahmen erzielen. Eine Reform des Spitzensteuersatzes ist schwieriger. International wäre das ein schlechtes Signal. Viele Steuerzahler würden dann anfangen, zu "gestalten". Man kann auch die Unternehmensbesteuerung und den Spitzensteuersatz nicht zu weit auseinanderfallen lassen. Und bei den Unternehmenssteuern stehen wir in einem Wettbewerb.

tagesschau.de: Ein Teil des Haushalts ist noch nicht gedeckt - noch ist unklar, ob und welche Einnahmen durch eine Brennelementesteuer oder eine Finanzmarktsteuer erzielt werden können. Wie riskant ist das?

Fuest: Das ist sicher ein Risiko. Man weiß noch nicht, ob die Steuer überhaupt eingeführt wird und ob die Einnahmen dann in den Bundeshaushalt fließen können - möglicherweise müssen sie zugunsten der Energiebranche verwendet werden. Es muss schnell geklärt werden, ob das machbar ist. Ähnliches gilt für die Finanzmarktsteuer.

tagesschau.de: Die Opposition kritisiert, dass die Sparmaßnahmen sozial unausgewogen sind. Ist der Vorwurf berechtigt?

Fuest: Die Verteilung der Lasten ist keine wissenschaftliche, sondern eine politische Frage. Grundsätzlich muss man aber sehen, dass rund die Hälfte des Bundeshaushalts für Sozialausgaben verwendet wird. Insofern lässt es sich nicht vermeiden, bei einer Haushaltssanierung auch bei den Sozialausgaben zu kürzen. Der Glaube, man könnte ohne Einschnitte bei den Sozialausgaben sparen, ist eine Illusion. Die Kürzungen sind außerdem in ein breites Programm eingebettet.

"Einstieg in die Sanierung ist moderat"

tagesschau.de: Die USA, aber auch Frankreich befürchten, dass Deutschland durch hartes Sparen die Konjunktur abwürgt und wünscht sich mehr Maßnahmen , um die Konjunktur hierzulande anzukurbeln. Ist die Regierung zu sehr aufs Sparen fixiert?

Fuest: Finanzpolitik ist derzeit immer eine Gratwanderung. Sie bewegt sich zwischen dem Wunsch, mehr auszugeben, um die Krise zu überwinden, und dem Ziel, die hohe Staatsverschuldung abzubauen, um das Vertrauen der Investoren nicht zu verlieren. Die Deutschen haben einiges für die Konjunktur getan und steigen sehr moderat in die Haushaltssanierung ein. 2011 macht das Sparpaket 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Das ist sehr moderat. 2012 wird es dann mehr, aber dann dürfte die Krise auch stärker als heute überwunden sein.

Die Alternative wäre, die Verfassung zu brechen oder die Schuldenbremse abzuschaffen, die man gerade erst eingeführt hat. Das würde die Glaubwürdigkeit des Staats untergraben. Insofern tut die Regierung genau das Richtige. Es ist außerdem auch in der Wissenschaft unklar, ob man in der aktuellen konjunkturellen Erholung überhaupt etwas erreichen würde, wenn der Staat sich stärker verschulden würde. Deshalb spricht alles dafür, dass die Bundesregierung bei ihrer Politik bleibt.

Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de