Anerkennung als Völkermord Bundestag berät über Holodomor
Vor 90 Jahren starben in der Ukraine mehr als drei Millionen Menschen - in eine Hungersnot getrieben vom sowjetischen Diktator Stalin. Nun will Deutschland den Holodomor als Genozid anerkennen.
Holodomor - der Begriff hat es in sich. In ihm stecken die ukrainischen Worte für "Hunger" und "umbringen". Über drei Millionen Menschen fielen dem Holodomor zum Opfer - sagt die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies von der Universität München: "Der Holodomor ist die Bezeichnung für die Hungersnot in der Ukraine ab 1932. Und verursacht wurde diese Hungersnot durch die Entscheidung Stalins, die Landwirtschaft gewaltsam zu kollektivieren."
Dabei mussten Bäuerinnen und Bauern Getreide und Saatgut abgeben, viele von ihnen wurden brutal verfolgt und deportiert. Zwar war die Hungersnot nicht von vornherein geplant, erzählt Davies, doch als sie dann da war, hat das Regime sie genutzt, um Macht- und Herrschaftsverhältnisse durchzusetzen. So kamen etwa Menschen, die vor dem Hunger fliehen wollten, nicht mehr weg: "Es wurden zum Beispiel die Zugtickets für Ukrainer nicht mehr verkauft. Sie konnten nicht mehr ausreisen. Es wurden Städte abgeriegelt."
Bundestag berät über Holodomor
Zu Sowjetzeiten wurde der Holodomor totgeschwiegen. Erst seit den 80er-Jahren, im Zuge der Perestroika, wurde das Geschehen aufgearbeitet. In der Ukraine wurde es Teil der nationalen Identität.
90 Jahre nach dem Holodomor soll nun heute im Bundestag daran erinnert werden - mit einem klaren Ziel, sagt der SPD-Abgeordnete Dietmar Nietan, der in seiner Fraktion zuständige Berichterstatter im Auswärtigen Ausschuss: "In diesem Entschließungsantrag wird sich der deutsche Bundestag dazu bekennen, den Holodomor politisch-historisch als Völkermord einzustufen. Diese Einordnung ist ein wichtiges Signal, mit dem wir dem Geschichtsrevisionismus entgegentreten, aber auch die Opfer dieses Verbrechens ehren."
Steinmeier: Hungersnot war kein Ergebnis von Missernten
Die Fraktionen der Ampelkoalition und die Fraktion von CDU und CSU haben den Antrag gemeinsam eingebracht. AfD und Linke wurden nicht gefragt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist dankbar, dass der Bundestag der Ereignisse gedenken will.
Im Interview mit der Deutschen Welle sagte er, dass der Holodomor als Verbrechen in Deutschland relativ wenig bekannt sei. "Aber wir müssen uns erinnern, dass gerade die Ukraine Opfer dieser Hungerkatastrophe war", so Steinmeier. "Die Hungerkatastrophe war nicht das Ergebnis von Missernten, wie über Jahre und Jahrzehnte hinweg vor allem von der russischen Geschichtswissenschaft behauptet worden ist".
Ukrainischer Botschafter lobt klare Position
Die klare Positionierung deutscher Parlamentarier zum Holodomor wird von der Ukraine schon im Vorfeld begrüßt. Der neue ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, sagte: "Das ist wichtig für uns, dass im Bundestag eine überparteiliche Resolution ins Leben gerufen wird. Wir sehen, dass eigentlich alle demokratischen Parteien im deutschen Bundestag hinter der Ukraine stehen."
Das Gedenken des Bundestags an den Holodomor: ein symbolträchtiges Zeichen der Solidarität in Zeiten des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.