Blick in den leeren Plenarsaal im Bundestag.
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Abgeordnete Wer den Bundestag verlässt - und warum

Stand: 11.02.2025 17:22 Uhr

Die letzte Plenarsitzung des Bundestags war für eine Reihe von Abgeordneten auch ein Abschied. Manche von ihnen scheiden nach vielen Jahren aus dem Parlament aus. Ein Überblick.

Von Corinna Emundts, tagesschau.de

Kevin Kühnert (SPD)

Es ist der Tag der letzten Generaldebatte im Bundestag, Kevin Kühnert hat sich als letzter Redner der SPD auf die Liste setzen lassen. Doch schon eine Stunde vorher kommt der Bundeskanzler zum ehemaligen Generalsekretär in die Fraktionsreihen, um dem 35-Jährigen die Hand zu schütteln. Wenige Minuten später dann folgt FDP-Politiker Wolfgang Kubicki mit ähnlicher Geste. Kühnert wirkt erfreut.

Sein Rückzug aus dem Amt des SPD-Generalsekretärs im Oktober 2024 kam überraschend. Er gab gesundheitliche Gründe an, ebenso wie für den Verzicht auf eine erneute Bundestagskandidatur. Kurz nach seinem Rückzug platzte die Ampelkoalition - ob er es wohl geahnt hatte? Zumindest damit gerechnet.

Sein politisches Talent war bereits im Amt des Juso-Vorsitzenden sichtbar. Der zum linken SPD-Flügel zählende Kühnert trat als Gegner der Großen Koalition auf, für die Olaf Scholz dann im vierten Kabinett Merkel als Vizekanzler stand. Bald kam Kühnert in die engsten Machtzirkel im Willy-Brandt-Haus. Ohne seine Unterstützung wäre Scholz wohl im August 2020 nicht Kanzlerkandidat geworden.

In seiner vorerst letzten Bundestagsrede wird Kühnert sehr grundsätzlich: Parteien hätten "den bundesrepublikanischen Grundkonsens" zu verteidigen, führende Politiker um ihre Überzeugungen zu ringen. Er nennt Adenauer, Brandt, Schmidt, von Weizsäcker und Kohl - und schaut Richtung Merz: "Sie geben das Ringen zunehmend auf."

Peter Ramsauer (CSU)

CSU-Urgestein Peter Ramsauer ist aktuell der dienstälteste Bundestagsabgeordnete - nach 34 Jahren im Parlament, davon vier Jahre als Verkehrsminister unter Bundeskanzlerin Angela Merkel. All die Jahre hat er das Direktmandat im Wahlkreis Traunstein geholt. Darauf ist er stolz.

"Mit 36 kam ich im Bundestag - da dachte ich mir immer von 60- oder 65-jährigen Mitgliedern des Bundestags, was da in Bonn für politische Methusalems rumlaufen", berichtet er im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. Genau das habe ihn bewogen, nun im Alter von 70 Jahren rauszugehen. Obwohl er sich jetzt gar nicht wie ein Methusalem fühle.

Ramsauer machte sich im Parlament früher auch durch Zwischenrufe einen Namen. "Ich war ausgerechnet derjenige, der in Bonn vor dem Umzug nach Berlin den allerletzten Ordnungsruf bekommen hat und dann in Berlin den allerersten", erzählte er der "Rheinischen Post".

Als parlamentarischer Geschäftsführer habe er einer Grünen-Politikerin am Rednerpult mal "Sie freches Luder" dazwischen gerufen. Früher hätten andere Maßstäbe gegolten, es habe andere Umgangsformen gegeben. Seine Beschwerde beim Ältestenrat gegen die Rüge blieb aber schon damals erfolglos.

Letzte Sitzung des Parlaments

Diese Politiker verabschieden sich aus dem Bundestag

Cem Özdemir

Cem Özdemir (Grüne): Der Bundeslandwirtschafts- und -forschungsminister möchte nach der Landtagswahl in Baden-Württemberg im Frühjahr 2026 Ministerpräsident Winfried Kretschmann nachfolgen. Aus dem Bundestag zieht sich der frühere Grünen-Vorsitzende daher zurück.

Kevin Kühnert

Kevin Kühnert (SPD): Der ehemalige SPD-Generalsekretär hatte sich im Oktober vergangenen Jahres überraschend aus dem Politikbetrieb zurückgezogen und sein Amt niedergelegt. Er kandidiert auch nicht bei der Bundestagswahl. Die Energie, die für sein Amt und einen Wahlkampf nötig sei, brauche er auf absehbare Zeit, um gesund zu werden, schrieb der 35-Jährige damals in einem Brief an Parteimitglieder und Öffentlichkeit.

Renate Künast

Renate Künast (Grüne): Die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin und ehemalige Grünen-Fraktionsvorsitzende kündigte schon im Juli 2024 an, nicht noch einmal zu kandidieren: "Es ist jetzt Zeit, um Platz für Jüngere zu machen." Künast ist seit 2002 Mitglied des Bundestags.

Marco Wanderwitz

Marco Wanderwitz (CDU): Wut und Hass sind der Grund, weshalb der frühere Ostbeauftragte den Bundestag verlässt. Er kandidiere nach 23 Jahren nicht mehr, um seine Familie zu schützen, erklärte Wanderwitz im November. "Die Angriffe der brutalen Schreihälse sind immer heftiger geworden. Wir haben es als Zivilgesellschaft nicht geschafft, den Abgeordneten den Rücken zu stärken."

Peter Ramsauer

Peter Ramsauer (CSU): Nach 34 Jahren im Bundestag verabschiedet sich der aktuell dienstälteste Abgeordnete. In seiner letzten Rede Anfang Dezember im Plenum forderte der frühere Bundesverkehrsminister eine bessere Abstimmung bei Erneuerbaren Energien mit dem Ausbau der Netze, Speicherkraftwerke und Gaskraftwerke.

Volker Wissing

Volker Wissing (parteilos): Auch der aktuelle Bundesverkehrsminister wird dem neuen Bundestag nicht mehr angehören. Mit dem Bruch der Ampelkoalition trat er aus der FDP aus und sitzt derzeit als fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag. Der Jurist hat eine Kanzlei und will nicht wieder für ein politisches Amt kandidieren. "Ich finde, Politik ist enorm spannend. Ich war aber schon in mehreren Berufen tätig und dabei immer glücklich", sagte er Ende Dezember in einem Interview.

Petra Pau

Petra Pau (Die Linke): "2025 ist mein 27. Jahr im Bundestag", sagte die Berlinerin bereits im Oktober. Auch nach ihrer Zeit im Parlament wolle sie politisch aktiv bleiben. Jahrelang litt sie an einer Erkrankung der Stimme und konnte zeitweise schlecht sprechen. Mit fast 19 Jahren auf diesem Posten ist sie die derzeit dienstälteste Bundestags-Vizepräsidentin.

Gesine Lötzsch

Gesine Lötzsch (Die Linke): Wie Sören Pellmann und Gregor Gysi verteidigte sie 2021 ihr Direktmandat und sicherte so den Linken den Einzug in den aktuellen Bundestag in Fraktionsstärke, obwohl die Partei damals nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erreichte. Die langjährige Abgeordnete saß neben Petra Pau für eine Legislatur sogar einmal als eine der beiden einzigen Linken im Parlament.

Albrecht Glaser

Albrecht Glaser (AfD): Sein gleichaltriger Parteikollege Alexander Gauland machte einen Rückzug vom Rückzug und tritt nun doch bei der bevorstehenden Bundestagswahl noch einmal an. Doch für Glaser ist Schluss. Er zieht sich nach siebeneinhalb Jahren im Bundestag aus der aktiven Politik zurück.

Michael Roth

Michael Roth (SPD): Der SPD-Außenexperte sitzt seit 1998 im Bundestag. Seit langem setzt sich der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschuss für eine ausreichende militärische Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine ein. "Mir war klar, dass ich nicht als Bundestagsabgeordneter, als Politiker in Rente gehe", sagt er.

Michelle Müntefering

Michelle Müntefering (SPD): Die Frau des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering gibt familiäre Gründe für ihren Rückzug aus dem Bundestag nach gut elf Jahren an. Die Abgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Herne wolle mehr Zeit mit ihrem Mann verbringen: "Gemeinsame Zeit kann man nicht nachholen, ich hoffe, dass noch einige gemeinsame Jahre bleiben."

Canan Bayram

Canan Bayram (Grüne): Die bekannte Berliner Rechtsanwältin, die dem linken Flügel der Partei angehört, sitzt seit 2017 im Bundestag. Sie sei nun aber nicht mehr bereit, ein "Feigenblatt für meine Fraktion zu werden, die weniger Menschenrechte als populistische Diskurse in den Fokus ihrer Arbeit nimmt". Allerdings ist auch nicht sicher, ob ihr Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost sie erneut als Direktkandidatin aufgestellt hätte.

Renate Künast (Grüne)

Quasi über Nacht wurde aus der grünen Berliner Landespolitikerin Renate Künast im Januar 2001 eine Bundesministerin im Kabinett Schröder - der BSE-Skandal hatte ihren Vorgänger Karl-Heinz Funke (SPD) im Landwirtschaftsressort aus dem Amt gespült. In ihre Zeit als Ministerin fällt das Bio-Siegel innerhalb der "Agrarwende" ebenso wie ihr Vorschlag, das Ministerium um das Ressort Verbraucherschutz zu erweitern. Ein Jahr später wurde sie zusätzlich Abgeordnete im Bundestag.

Das Parlament blieb für die schlagfertige Juristin in der Ära Merkel das Wirkfeld, zunächst als langjährige Fraktionsvorsitzende. Dem Verbraucherschutz blieb sie bis zuletzt im gleichnamigen Ausschuss treu - auch, nachdem sie sich zwischendurch erfolglos um das Amt der Regierenden Bürgermeisterin in Berlin (2011) und als grüne Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl 2013 beworben hatte.

Jetzt sei es Zeit, "Platz für Jüngere zu machen", sagt sie - in ihrer üblichen pragmatischen Art. Diese Entscheidung teilt sie mit ihrem grünen Kollegen Jürgen Trittin, der ebenfalls auf eine lange parlamentarische Wirkzeit zurückschaut, nachdem er Umweltminister im Kabinett Schröder war.

Michael Roth (SPD)

Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 wurde für den langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten und Außenpolitiker Michael Roth zum politischen Hauptthema der vergangene Jahre. Er war 2021 zum Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses gewählt worden. Hier nahm er kein Blatt vor den Mund, auch nicht, wenn sich seine Meinung von der des SPD-Bundeskanzlers in der Sache unterschied.

Dabei lebte Roth das Dreier-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP vor: Gemeinsam mit dem Grünen-Politiker Anton Hofreiter, dem Vorsitzenden des Europa-Ausschusses, und der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, bereiste er als hochrangiger Vertreter des Parlaments die Ukraine im April - weit vor Bundeskanzler Olaf Scholz.

Bereits im März 2024 gab Roth seinen Rückzug zum Ende der Legislatur bekannt. Er ist 54, kein Alter für einen Politiker. Warum macht er denn nicht weiter? "Ich habe ganz jung angefangen mit 28 - für mich war immer klar: Du gehst nicht als Berufspolitiker in Rente", sagte er dem ARD-Hauptstadtstudio.

Rund 27 Jahre Berufspolitik blieben nicht ohne Spuren. Sein Rat an künftige Politiker: "Sensibel bleiben, empfindsam und leidenschaftlich bleiben." Man müsse nicht in jedem Thema der Beste sein. Aber die Menschen müssten spüren, dass man es ernst meine und dass man mit Leidenschaft dabei sei.

Nadine Schön (CDU)

Neben Annette Widmann-Mauz, der Vorsitzenden der Frauen-Union, und Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas verlässt auch CDU-Politikerin Nadine Schön als eine der profilierten Frauen ihrer Fraktion freiwillig das Parlament. Ihr war eigentlich eine Zukunft an der Spitze nachgesagt worden - nicht unwichtig für eine Partei, die chronisch mit der Zahl weiblicher Abgeordneter nicht nur im Bundestag kämpft, sondern auch beim Mitgliederanteil.

Seit 2009 gehörte Schön dem Bundestag an, seit 2014 als stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion. "Eine der erfahrensten Politikerinnen in der Unionsfraktion", schrieb der Spiegel über sie - die sich nun entscheiden habe, mehr persönliche Freiheit gegen Macht und Amt zu tauschen.

Wie viele der Aussteigerinnen und Aussteiger berichtet sie aber auch über das rauere gesellschaftliche Klima, das Politikern entgegenschlägt. Im Jahr 2021 etwa, als sie über einen Listenplatz in den Bundestag nachrückte und in handschriftlichen Briefen als Rabenmutter beschimpft wurde.

Karamba Diaby (SPD)

Der SPD-Bundestagsabgeordnete für Halle (Saale) ist im Sommer 2024 zum Entschluss gekommen, nach drei Legislaturperioden nicht mehr zu kandidieren. Stress, Beleidigungen und öffentliche Hetze führen viele der freiwilligen Aussteigerinnen und Aussteiger aus dem Bundestag mit als Grund an, nicht mehr anzutreten.

Bei Diaby kamen rassistische Angriffe gegen ihn und sein Team noch dazu. Im Jahr 2023 kam es zu einem Brandanschlag auf sein Bürgerbüro in Sachsen-Anhalt. Damals schrieb er in einer Stellungnahme: "Ich lasse mich nicht einschüchtern."

Der aus dem Senegal stammende Abgeordnete wurde 2013 als erster in Afrika geborener Schwarzer in den Bundestag gewählt.


Für den Deutschen Bundestag kandidieren unter anderem nicht mehr: Gesine Lötzsch, Anke Domscheit-Berg und Petra Pau (alle Linkspartei), Cem Özdemir, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Sven Christian Kindler, Cordula Schulz-Asche, Canan Bayram, Tobias Lindner (alle Bündnis 90/Die Grünen), Marco Wanderwitz, Hermann Gröhe, Michael Grosse-Brömer (alle CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU), Manfred Todenhausen, Claudia Raffelhüschen, Manuel Höferlin (alle FDP), Michelle Müntefering, Niels Annen, Axel Schäfer, Sönke Rix (alle SPD), Christina Baum, Mariana Harder-Kühnel, Albrecht Glaser (alle AfD).

Mit Informationen von Uwe Berndt, ARD-Hauptstadtstudio

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 11. Februar 2025 um 17:44 Uhr.