Bundestagswahl 2025
BSW-Kandidatin Wagenknecht Die Kandidatin, die ganz anders sein will
Jahrelang lag sie mit ihrer Partei über Kreuz, jetzt hat Wagenknecht eine eigene: das BSW. Mit der Bundestagswahl steht nun die eigentliche Bewährungsprobe an. Die Politikerin weiß, dass sie kämpfen muss.
Ein Sonntagnachmittag im Januar. Der Wahlparteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht steuert auf seinen Höhepunkt zu. Streicherklänge fluten die Bonner Kongresshalle, begleitet von schweren Bässen. Über den großformatigen Bildschirm vorne auf der Bühne flattern stilisierte Friedenstauben.
Und dann betritt sie den Saal: Die Parteichefin und Kanzlerkandidatin des nach ihr benannten Bündnisses - Bündnis Sahra Wagenknecht. Ihren Weg säumen rote Leuchtkörper, die im Gleichschritt mit Wagenknecht anspringen. Die etwa 600 Teilnehmer des Parteitags klatschen stehend Beifall.
Nach Querelen mit Linkspartei entsteht das BSW
Die Bilder aus Bonn könnten den Eindruck erwecken, als wäre die 55-Jährige endgültig am Ziel. Und das sollen sie wohl auch. Die jahrelangen Querelen mit ihrer früheren Partei hat sie tatsächlich hinter sich gelassen. Nur selten erwähnt sie die Linkspartei noch. Und wenn doch, dann meist auf Nachfrage.
Nach dem endgültigen Bruch mit ihren ehemaligen Genossen gelingt Wagenknecht, was ihr viele nicht zugetraut haben. Auch sie selbst würde Aufbau und Organisation eines Parteiapparats nicht zu ihren Stärken zählen. Also scharrt sie eine Gruppe von Managementtalenten um sich und gründet vor rund einem Jahr ihre eigene Partei.
"Arroganz im Berliner Regierungsbezirk"
Von Anfang an erhebt das BSW den Anspruch, anders als alle anderen Parteien zu sein. Man habe das BSW gegründet, so Wagenknecht bei einer Pressekonferenz im Januar vergangenen Jahres, um die "Unfähigkeit und Arroganz im Berliner Regierungsbezirk" zu überwinden. Für die damaligen Proteste von Landwirten gegen Kürzungen beim Agrardiesel zeigt Wagenknecht Verständnis. Überhaupt macht sie im Land viel Wut und Empörung aus. Immer mehr Menschen seien "politisch heimatlos" geworden, führt sie später beim Gründungsparteitag in Berlin aus. BSW-Vertreter sprechen von einer Repräsentationslücke, die es zu schließen gelte.
Gelingen soll das mit einem Programm, das die üblichen Kategorien von links und rechts sprengt. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik betont Wagenknecht die Rolle des Staates - eine klassisch linke Position. So wird im BSW-Programm für die Bundestagswahl eine "aktive Industriepolitik" beschworen und eine staatliche "Infrastruktur-Garantie" versprochen: von Straßen und Brücken bis zu ärztlicher Grundversorgung und schnellem Internet. Und auch die Forderung nach höheren Renten ist ein Kernanliegen von Wagenknecht.
BSW fordert Stopp der ungeregelten Einwanderung
In der Einwanderungspolitik schlägt das BSW einen scharfen Ton an: "Das Asylrecht wird in großem Stil missbraucht", lautet eine Formulierung im Wahlprogramm. Ungeregelte Einwanderung will die Partei stoppen - etwa durch Asylverfahren außerhalb der EU und mehr Abschiebungen.
Gesellschaftspolitisch legt Wagenknecht den Schwerpunkt auf Kritik an einer "Gender-Ideologie", angeblich getragen von einem linksliberalen Milieu in Großstädten. Kaum eine BSW-Versammlung ohne Seitenhieb auf die "Latte-Macchiato-Grünen". Linke Forderungen bei Brot-und-Butter-Themen, rechtskonservative Positionen in der Asyl- und Gesellschaftspolitik: Mit dieser Mischung betritt Wagenknecht programmatisches Neuland in der deutschen Parteienlandschaft.
Dabei kann sie von sich behaupten, ihrer eigenen Linie treu zu bleiben. Früh schon hat Wagenknecht, damals noch prominente Linken-Politikerin, die liberale Einwanderungspolitik der Merkel-Jahre kritisiert. Auch während der Corona-Pandemie lag die Bundestagsabgeordnete mit ihrer früheren Partei über Kreuz. Ein Faden, der im BSW-Wahlprogramm aufgenommen wird - mit Kritik an einem "übergriffigen Staat" und der Forderung nach einem Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung der Corona-Zeit.
Wagenknecht: schon als Kind angeeckt
Das Motiv, gegen den Strom schwimmen zu wollen: Es zeigt sich schon in Wagenknechts Kindheit. Damals in Jena in den 70er-Jahren. Eigentlich habe sie eine Kita besuchen sollen, so schildert es Wagenknecht vor Jahren in einem taz-Interview. Wie die meisten Kinder in der DDR. Aber sie sei dagegen gewesen: "Ich habe so ziemlich alle Mittel eingesetzt, mit denen ein Kind seine Familie mürbe machen kann." Sie habe "geweint und gebockt" - weil sie damals schon gern gelesen habe. Was aber im "Tumult" eines Kindergartens schwierig gewesen wäre.
Als junge Frau tritt sie der SED bei. Wenige Monate vor dem Mauerfall, zu einem Zeitpunkt, als viele andere sich längst vom DDR-Regime abgewandt haben. Nach der Wende macht sie als Wortführerin der Kommunistischen Plattform von sich reden. Ein Aufreger in der konsumfreudigen Bundesrepublik. Eine Zeit lang war sie Co-Fraktionschefin der Linkspartei im Bundestag. Bereits in dieser Funktion spricht sie sich für eine strengere Einwanderungspolitik aus. Mit dem Argument, dass die Folgen ungeregelter Migration etwa auf dem Mietwohnungsmarkt vor allem Menschen mit wenig Geld träfen.
Wagenknecht: BSW hat sich "Feinde gemacht"
Jetzt also hat Wagenknecht ihre eigene Partei, ganz auf sie zugeschnitten. Aufmerksamkeitsökonomisch hat das jedoch auch Nachteile. Denn ihre einstige Rolle als innerparteiliche Quertreiberin bei der Linkspartei hat ihr über Jahre mediales Interesse gesichert.
Als BSW-Chefin arbeitet sie sich nun an allen ab: Die neue Partei hat sich aus ihrer Sicht mit dem Establishment angelegt - und sich damit in Politik und Medien "Feinde gemacht". Ihnen ruft sie vom Redepult beim Bonner Parteitag aus zu: "Euer Zorn ehrt uns und euer Hass spornt uns an."
Politisch gesehen, geht es um alles
Eine martialische Rhetorik, die in einem gewissen Kontrast zu den sicherheitspolitischen Forderungen von Wagenknecht steht. Das BSW versteht sich als "einzige Friedenspartei" im Bundestag, warnt vor einer Rüstungsspirale und verlangt eine Verhandlungslösung für den Krieg in der Ukraine - deshalb die Friedenstauben auf der Parteitagsbühne.
Dass Wagenknecht verbal nun trotzdem aufrüstet, dürfte mit der Umfragelage zu tun haben. Nach einer Serie von Erfolgen bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland und der EU-Wahl vergangenes Jahr geht die demoskopische Kurve inzwischen nach unten. Kurz vor der Bundestagswahl kratzt das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde. Wagenknecht weiß, dass sie um jede Stimme kämpfen muss. Und dass es für sie - politisch gesehen - am 23. Februar um alles geht.