CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer Keine Experimente
Die CDU ist keine Revoluzzerpartei. Sie ist eine Profi-Staatspartei. Keine Experimente. Daher ist die Wahl Kramp-Karrenbauers auch folgerichtig. Merkels Plan könnte aufgehen.
Die CDU ist schon eine merkwürdige Partei. Sie grummelt eher leise, Streit gibt es, wenn überhaupt, nur in Hinterzimmern. Dort, wo es oft auch um die Macht geht. Ein offener Kampf um die Macht ist der CDU fremd, 1971 war ein Unfall. Sie möchte in Ruhe regieren. Revoluzzertum ist ihre Sache nicht. Die CDU ist auch schwer zu begeistern. Wäre die CDU ein Schiff, es wäre ein ziemlich dickes.
Doch jetzt wurden auf diesem Schiff die Fenster weit aufgerissen, frische Luft kommt rein - und die CDU ist völlig aus dem Häuschen. Ein bisschen staunt sie in diesen Tagen auch über sich selbst, sie erkennt sich selbst kaum wieder. Dass innerparteiliche Demokratie, Debatte, Diskurs so belebend sein können.
Die Raute als Programm
Nun ist es beileibe nicht so, dass Angela Merkel die Partei 18 Jahre lang autokratisch geführt hätte. Aber dass sie mutig vorangegangen wäre, Debatten angestoßen, die Basis einbezogen, auch mal offenen Streit riskiert hätte - all das ist nicht ihr Politkstil. Sie rückte die CDU in die linke politische Mitte, übernahm dabei auch sozialdemokratische Positionen, modernisierte die Partei.
Das alles ging gut, solange Merkel der CDU die Macht sicherte. Visionen waren nie Merkels Stärke, aber irgendwann wurde die Raute zum Programm - 2013 reichte das noch, in diesen Zeiten aber ist das zu wenig. Die CDU hat keine Antworten mehr auf drängende gesellschaftliche Fragen, keine Strategie gegen Populisten, keine Ideen für die Zukunft. Die Wähler wandern ab - zur AfD, zu den Grünen.
Versöhnlicher Abgang: Angela Merkels letzter Auftritt als CDU-Chefin
Die inhaltliche Leere zeigte sich besonders deutlich im Scheitern der Jamaika-Verhandlungen. Mit letzter Kraft rettete man sich in einen müden GroKo-Aufguss, Aufbruchstimmung kam nie auf. Dafür viel Unzufriedenheit mit der Chefin bis hin zu offener Kritik und eine wachsende Sehnsucht nach einem Neuanfang. Die CDU war Merkel überdrüssig geworden.
Merkel hat erkannt, erkennen müssen, dass jetzt andere ran müssen, um die Partei wieder stark zu machen. In ihrer letzten - und wohl kürzesten - Rede als CDU-Chefin weist sie der Partei auch den Weg in die Zukunft. Es ist eine außergewöhnliche Merkel-Rede, kein rhetorisches Feuerwerk - aber selbstbewusst, ehrlich, leise Spitzen an den richtigen Stellen, phasenweise frech und selbstironisch. Sogar ganz merkel-untypisch emotional. Merkel versöhnt sich mit ihrer Partei - und die Partei versöhnt sich mit ihrer langjährigen Vorsitzenden.
Drama kannte man zuletzt nur von SPD-Parteitagen
"Danke, Angela, aber jetzt geht es um die Zukunft." Als Annegret Kramp-Karrenbauer dies heute sagt, weiß sie noch nicht, dass sie kurz darauf diejenige sein wird, die die Partei in die Zukunft führen soll. Der Satz ist der verbale Spagat zwischen Nähe und Distanz zu Merkel. Die CDU hat sich für Kramp-Karrenbauer entschieden, für die Generalsekretärin, die akribische Parteiarbeiterin mit dem Ohr an der Basis, die Wahlsiegerin aus dem Saarland, die erfahrene Regierungschefin. Die CDU hat sich für Kramp-Karrenbauer entschieden und gegen Friedrich Merz. Zwei Wahlgänge waren nötig, am Ende stand es 51,7 zu 48,2 Prozent. 35 Stimmen Unterschied. Dabei kannte man Drama bislang hauptsächlich von SPD-Parteitagen.
Weiter so, aber anders
Revoluzzertum liegt die CDU nicht. Insofern ist die Entscheidung für Kramp-Karrenbauer folgerichtig. Man wollte etwas Neues, aber keinen Bruch mit der Merkel-Ära. Ihr Vermächtnis soll bewahrt, aber nicht abgewickelt werden. Die Entscheidung für AKK, wie sie kurz genannt wird, ist eine Entscheidung der Vernunft, für ein "Weiter so, aber anders". Für mehr CDU pur, aber in einer Kultur des Ausgleichs. Für den großen Umbruch bei der CDU steht Kramp-Karrenbauer nicht.
Friedrich Merz' zweite Karriere als Hoffnungsträger der Konservativen in der CDU ist schon wieder jäh vorbei. Er hätte zwar gerne gewonnen, die vergangenen Wochen hätten aber trotzdem viel Spaß gemacht, sagte er - und ließ offen, ob er bleibt oder wieder geht. Für das Präsidium der Partei kandidiert er nicht. Anders als Merz hat der zweite unterlegene Kandidat, Jens Spahn, seine politische Zukunft noch vor sich. Trotz Platz 3 geht er auch als Gewinner vom Platz. Seine 15 Prozent im ersten Wahlgang sind mehr als nur ein Achtungserfolg. Nun will er "auf jeden Fall im Team bleiben".
Merkels Plan könnte aufgehen
Für Kramp-Karrenbauer kommt es nun zunächst darauf an, die unterschiedlichen Strömungen in der Partei wieder zu einen. Denn die Konflikte in der CDU sind ja nicht weggewahlkämpft in den Regionalkonferenzen, im Gegenteil: Sie sind nur noch deutlicher zutage getreten. Wertkonservative, Sozialliberale, Wirtschaftsliberale - Kramp-Karrenbauer muss Brückenbauerin sein. Nun ist die CDU auch eine Profi-Staatspartei, die Gefahr einer Spaltung in unterschiedliche Flügel dürfte überschaubar sein.
Auch Streit mit der Kanzlerin droht mit AKK an der Parteispitze vermutlich erstmal nicht. Beide Frauen verstehen sich, gehen loyal miteinander um. Bei Merz war bis zum Schluss nicht klar, ob er wirklich um den CDU-Vorsitz kämpft oder gegen Merkel. Ihr Plan, bis zum Ende der Legislaturperiode Chefin einer Großen Koalition zu bleiben, wäre mit Merz als CDU-Chef definitiv schwieriger umzusetzen gewesen als mit der Saarländerin. Die Gefahr einer vorgezogenen Bundestagswahl ist mit AKK als CDU-Chefin zumindest nicht größer geworden. Merkels Wagnis, Parteiamt und Kanzlerschaft nun doch zu trennen, um wenigstens einen Teil ihrer Macht über die Zeit zu retten - es könnte klappen.
Das "letzte Einhorn Europas" muss kämpfen
Aber niemand sollte Kramp-Karrenbauer unterschätzen. Sie will die Partei wieder stärken - auch und gerade gegen die Regierung. Schluss mit dem Klischee des Kanzlerwahlvereins, den Schwung der Regionalkonferenzen, die Diskussionsfreude, die Mitgliederbeteiligung will sie bewahren und ausbauen. Auch wird sie andere Akzente setzen als Merkel, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen sind konservativer, in der Flüchtlings- und Ausländerpolitik setzte sie zuletzt auf harte Töne, die Sozialpolitik ist ihr wichtig.
Entscheidend aber wird sein, ob sie die CDU als Volkspartei der Mitte stärken und letztlich auch Wahlen gewinnen kann. "Wir sind kein politischer Gemischtwarenladen", warnt sie. "Wir sind so etwas wie das letzte Einhorn in Europa - die letzte große existierende Volkspartei." Nächstes Jahr muss die CDU drei Landtagswahlen im Osten bestehen. Das Einhorn muss kämpfen.