Bayern und Hessen Zwei Wahlen und fünf Botschaften an Berlin
Die Ergebnisse in Bayern und Hessen sind auch eine Abrechnung mit der Ampel in Berlin. Auf Kanzler Scholz wartet viel Arbeit. Die CDU gewinnt besser ohne Merz. Und die AfD ist nun auch im Westen stark. Fünf Erkenntnisse.
1. Nicht nur sauber, sondern Rhein
Boris Rhein hat gezeigt, dass man auch als blasser Ministerpräsident mit mäßigen Bekanntheits- und Popularitätswerten glanzvolle Wahlerfolge für die CDU holen kann. Solange die Herausforderer eine noch schlechtere Performance abliefern, sich angreifbar machen durch Hauptjobs in Berlin (Nancy Faeser) oder kurzerhand in Haftung genommen werden für alles, was die Ampelparteien im Bund verstolpern (Tarek Al-Wazir).
Rhein musste nur sauber bleiben, also eigene Patzer vermeiden. Das ist ihm gelungen. Auch vom Parteichef und dessen teils zweideutigen Aussagen zur AfD oder zur Zahnbehandlung von Asylsuchenden hielt er sich fern. Die CDU gewinnt Wahlen besser ohne Friedrich Merz. Das zeigten zuletzt Daniel Günther in Schleswig-Holstein, Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen und jetzt Boris Rhein in Hessen. Übrigens allesamt um die 50 Jahre alt und damit Angehörige der jüngeren Garde der CDU. Und übrigens alle drei mit schwarz-grüner Regierungserfahrung. Für die K-Frage in der Union bringt der Wahlsonntag indes nur wenig Erkenntnisgewinn. CSU-Chef Markus Söder dürfte sein schlechtes Wahlergebnis in Bayern als Erfolg verkaufen und erstmal im Rennen bleiben.
2. Die SPD verliert gleich dreifach
Das "sozialdemokratische Jahrzehnt" ist im Saarland steckengeblieben. Dass für die SPD in Bayern nichts zu gewinnen ist - geschenkt. Aber mit nicht einmal acht Prozent nähern sich die bayerischen Sozialdemokraten langsam der politischen Todeszone.
Weitaus stärker dürfte aber das Debakel in Hessen schmerzen. Im früheren SPD-Stammland unterbot die Partei noch einmal ihren eigenen Negativrekord von 2018, liegt hinter der AfD und kehrt zudem mit einer massiv angeschlagenen Ministerin zurück aus dem Wahlkampf. Nancy Faeser war ausgezogen, um der SPD nach einem Vierteljahrhundert Opposition wieder die Macht in Hessen zu sichern. Das ist gründlich gescheitert. Und so hat die SPD an diesem Sonntag nicht nur zwei Wahlen verloren, sondern auch eine starke Ministerin. Ob und wie lange Faeser sich als Bundesinnenministerium wird halten können bzw. wie lange der Kanzler sie wird halten können, gehört zu den spannenden Fragen der nächsten Wochen.
Doch auch in der SPD wächst die Nervosität. Der moderierende Regierungsstil von Kanzler Scholz, das Abwarten, das Laufenlassen der gelb-grünen Streitereien stößt zunehmend auf Kritik auch in den eigenen Reihen. Forderungen nach einem klaren SPD-Profil in der Ampel könnten die Folge sein. Beim Industriestrompreis etwa stellte sich die Fraktion gerade gegen die Position des Kanzlers. Dass es in nächster Zeit weniger Streit in der Ampel gibt, ist wenig wahrscheinlich. Dabei wäre wohl genau das der Wunsch vieler Menschen.
3. Oh weh, FDP
Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Bremen - und nun noch: Bayern und Hessen: Die Liste der FDP-Wahlniederlagen wird immer länger. Einzig im Saarland konnte sie zulegen, es reichte aber nicht für den Einzug ins Parlament. Auch wenn die Partei es mit Ach und Krach doch noch in den Landtag in Hessen schaffen sollte, bleibt festzuhalten: Seit die Liberalen im Bund mitregieren, geht es bergab. In anderen Parteien dürfte längst eine Personaldebatte toben, nicht so bei der FDP. Parteichef Christian Lindner steht - zumindest offiziell - nicht infrage. Vermutlich auch mangels Alternativen.
Statt am eigenen Spitzenpersonal zu rütteln, arbeitet sich die FDP an den Ampelpartnern ab. Nach jeder Wahlpleite konnte man sich darauf verlassen, dass die FDP den Ton verschärfte - und ihre Positionen oft auch durchsetzte. Dass Generalsekretär Bijan Djir-Sarai den grünen Koalitionspartner mit Blick auf die Migrationspolitik kürzlich als "Sicherheitsrisiko für das Land" brandmarkte, macht wenig Hoffnung, dass die selbsternannte "Fortschrittskoalition" bei dem drängenden und emotional aufgeladenen Thema schnell zu einer gemeinsamen lösungsorientierten Linie findet.
4. Die AfD ist auch im Westen stark
In Bayern und auch in Hessen gehört die AfD zu den großen Wahlgewinnern. Dass die in Teilen rechtsextreme Partei in beiden westdeutschen Flächenländern deutlich zulegen konnte, hat auch mit der Ampel-Performance zu tun. Der AfD gelingt es, die Unzufriedenen zu binden und aus dem Unmut Wählerstimmen zu machen. Der Kurs, bei Themen wie Klimaschutz oder Hilfen für die Ukraine eine Gegenposition zu anderen Parteien einzunehmen, macht sich weiter bezahlt.
Doch das starke Ergebnis in beiden Ländern nur als Protestwahl zu verstehen, würde zu kurz greifen. Immer mehr Menschen wählen die AfD aus Überzeugung. Ihr kommt die aktuelle Themenlage zugute: Die Asyl- und Flüchtlingspolitik treibt viele Menschen um, die Zustimmung zu einer restriktiveren Migrationspolitik wächst, wie auch aus Daten von Infratest dimap hervorgeht. Zugleich haben in beiden Ländern immer weniger Wählerinnen und Wähler ein Problem damit, eine in Teilen rechtsextreme Partei zu wählen. Und nicht nur in der Migrationspolitik werden ihr zunehmend Kompetenzen zugesprochen: Auch bei den Themen Innere Sicherheit, Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit legen mehr Menschen ihre Hoffnung auf die Rechtsaußen-Partei.
5. Grüne Grenzen
Die Grünen haben einen Dämpfer bekommen. Sie verlieren sowohl in Bayern als auch in Hessen deutlich - in beiden Ländern hatten sie in den vorherigen Landtagswahlen Rekordergebnisse geholt. Wie SPD und FDP leiden die Grünen unter dem verbreiteten Unmut mit der Ampelkoalition. Damit allein lässt sich das Ergebnis aber nicht erklären: Auch inhaltlich wenden sich Wählerinnen und Wähler von der Partei ab. In der Migrationspolitik verliert die grüne liberale Position an Rückhalt. Vielen Menschen macht zudem die wirtschaftliche Entwicklung große Sorgen und damit sinkt auch die Bereitschaft für (teure) Klimaschutzmaßnahmen. Als Beispiel sei nur das sogenannte Heizungsgesetz genannt. Selbst pragmatische Realpolitiker wie der hessische Spitzenkandidat Al-Wazir schaffen es unter diesen Bedingungen nicht, Erfolge einzufahren.
Nicht nur in der Ampelkoalition steuern die Grünen auf ein Dilemma zu. Bestehen sie auf ihren Prinzipien, werden sie als "Verbotspartei", die wirtschaftlichen Aufschwung mit Bedenken verhindert, abgestraft. Machen sie zu viele Kompromisse, verraten sie ihre Ideale und vergraulen so ihr Kernklientel.
Ausblick
Neben der Europawahl im Juni stehen im nächsten Jahr noch drei Landtagswahlen in Ostdeutschland an. Vergleichsweise einfache Regierungsbildungen wie jetzt in Bayern und Hessen sind im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht zu erwarten. Schneidet die AfD dort so stark ab wie derzeit in den Umfragen, dürften kreative Lösungen gefragt sein und/oder Brandmauern gehörig wackeln.