SPD und die K-Frage Wirklich wieder Scholz?
Soll der Kanzler wieder Kandidat werden? Oder doch besser Pistorius? Die SPD diskutiert über ihren Kanzlerkandidaten - weniger als 100 Tage vor der Neuwahl. Was spricht für Scholz - und was gegen ihn?
Die Ausgangslage
Die Union hat Friedrich Merz, die Grünen haben Robert Habeck, auch bei FDP, AfD und BSW steht das Spitzenpersonal weitgehend fest, einzig die Kanzlerpartei SPD diskutiert keine 100 Tage vor der vorgezogenen Bundestagswahl über die Kandidatentauglichkeit von Olaf Scholz. Soll man wirklich nochmal mit dem Kanzler als Kandidat antreten, obwohl man doch den Umfrageliebling Boris Pistorius in den eigenen Reihen hat? Zuletzt waren die Rufe nach einem Kandidatenwechsel lauter geworden, ungeachtet der klaren Pro-Scholz-Äußerungen der Parteiführung. Nun will man in der SPD-Spitze der Debatte schnell ein Ende bereiten. Ob das aber die Kritiker verstummen lässt?
Was gegen Scholz spricht
Aus Sicht der Scholz-Kritiker ist das einiges. Das spiegelt sich auch in den Zahlen des DeutschlandTrends: Lediglich 45 Prozent der SPD-Anhänger halten ihn demnach für einen guten SPD-Kanzlerkandidaten, 47 Prozent der eigenen Anhänger sind der Meinung, er sei kein guter Kanzlerkandidat für die SPD. Die knapp drei Ampel-Jahre sind wie Ballast für Scholz' Beliebtheitswerte. Die Unzufriedenheit mit der Arbeit der Regierung hatte Ende Oktober einen neuen Tiefpunkt erreicht: Nur noch 14 Prozent waren laut DeutschlandTrend zufrieden. Das färbt naturgemäß vor allem auf den Kanzler als Kopf der Regierung ab. Mangelnde Führungsstärke ist nur ein Vorwurf.
Hinzu kommen Scholz' oft als hölzern und sparsam empfundene öffentliche Kommunikation. Immer wieder wird ihm vorgeworfen, keine Emotionen zu zeigen und die Bevölkerung nicht zugewandt genug anzusprechen. Scholz sei "unten durch" bei den Menschen, soll es bei einer Sitzung des konservativen Seeheimer Kreises geheißen haben, berichtet der Spiegel.
Nun war Scholz nie Parteiliebling. Bei internen Wahlen erzielte er regelmäßig schlechte Ergebnisse, im Rennen um den Parteivorsitz verlor er 2019 zusammen mit Klara Geywitz gegen Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans. Nach seinem Überraschungserfolg bei der Bundestagswahl 2021, der die SPD erstmals wieder zur Kanzlerpartei machte, schienen die parteiinternen Zweifel an Scholz aber ausgeräumt. Nun sind sie wieder da - mit Blick auf die miesen Umfragewerte der SPD müssen viele der 207 Abgeordneten der SPD-Fraktion damit rechnen, nicht wiedergewählt zu werden.
Was für Scholz spricht
Seine Erfahrung und der Wahlsieg 2021. Scholz-Fans loben außerdem seine Besonnenheit, Kompetenz und Übersicht. Scholz bringt unbestritten jede Menge Regierungserfahrung mit - zunächst als Erster Bürgermeister in Hamburg, dann als Finanzminister und Vizekanzler im Kabinett Merkel und nun als Bundeskanzler einer - wenn auch gescheiterten Ampelregierung. Die Dreier-Konstellation war ein Novum auf Bundesebene, und die Bedingungen waren schwierig. Viel schwieriger als es beim Schreiben des Koalitionsvertrags absehbar war. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ab Februar 2022 machte die Energieabhängigkeit Deutschlands von Russland deutlich, Investitionsstau bei Bahn, Brücken, Bildung, Bundeswehr, eine schwache Wirtschaft - und nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 klaffte auch noch eine Milliardenlücke im Haushalt. Was folgte, war ein Dauerstreit in der Ampel ums Geld, der schließlich ein Jahr später, am 6. November, mit einem großen Knall endete. Dass die SPD-Fraktion ihrem Kanzler applaudierte, nachdem er Finanzminister Christian Lindner entlassen und damit die Ampelregierung beendete, spricht Bände. Endlich zeigte der Kanzler die Führungsstärke, die er so gern für sich beansprucht.
Kanzler Scholz hat Deutschland durch die multiplen Krisen der vergangenen drei Jahre geführt, er hat verhindert, dass Deutschland zur Kriegspartei wird, er hat im Verbund mit den internationalen Partnern Waffen an die Ukraine geliefert, vermutlich hat er auch unheimlich geduldig und hartnäckig zwischen FDP und Grünen moderiert und so dafür gesorgt, dass die Ampel nicht schon früher zerbrochen ist - all dies führt das "Team Scholz" auf der Habenseite an.
Regierungserfahrung und Besonnenheit gegen Unerfahrenheit und Unbeherrschtheit - darauf dürften die SPD-Wahlkampfstrategen auch das Duell Scholz gegen Merz zuspitzen wollen. So lassen sich auch die jüngsten Wortmeldungen der SPD-Spitze deuten.
Was Scholz über Scholz sagt
Eigenlob ist Scholz nicht fremd. Scholz hält sich selbst für ziemlich gut, das verbindet ihn mit Politikern wie Markus Söder oder Robert Habeck. Nun ist ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein durchaus eine hilfreiche Eigenschaft in der Politik, doch bei Scholz wird es von vielen auch als Arroganz wahrgenommen. Für Scholz ist es völlig klar, dass er erneut als Kandidat fürs Kanzleramt antritt - "übrigens mit dem Ziel zu gewinnen", wie er zuletzt wieder betonte. Bereits im Juli hatte er erklärt: "Ich werde als Kanzler antreten, erneut Kanzler zu werden." Damals gab es die Ampel noch und die Bundestagswahl war regulär für September geplant.
Das Risiko des Kandidatenwechsels
Die SPD brauche jemanden wie Nancy Pelosi, schreibt die Süddeutsche Zeitung in Anlehnung an den Kandidatentausch in letzter Minute bei den US-Demokraten. Die einflussreiche Pelosi soll eine maßgebliche Rolle beim Wechsel von Joe Biden zu Kamala Harris gespielt haben. Doch so ein Szenario wäre für die SPD mit viel Risiko verbunden. Es erscheint derzeit trotz des "Grummelns" in der SPD auch nicht sonderlich realistisch. Scholz müsste einen Rückzieher machen - wonach es nicht aussieht. Es gibt auch keine SPD-Pelosi, die ihn dazu drängen würde. Pistorius müsste sich öffentlich von Scholz absetzen und sagen: Ich machs. Auch hierauf deutet nichts hin.
Es gibt auch keine Anzeichen für ein erneutes "Schwielowsee-Drama", als die SPD 2008 ihren Parteichef Kurt Beck stürzte und Frank-Walter Steinmeier Kanzler werden sollte. Eine maßgebliche Rolle damals spielte auch Franz Müntefering. Der inzwischen 84-Jährige meldete sich nun auch in der aktuellen K-Debatte zu Wort. Es gebe keinen Automatismus, dass Scholz Kanzlerkandidat sein müsse, sagte der Ex-Parteichef dem Tagesspiegel. Müntefering solle sich "da von der Seitenlinie raushalten", hieß es prompt aus der SPD-Fraktion.
Ein Kandidatenwechsel keine 100 Tage vor der Wahl würde der SPD vermutlich als Panikreaktion ausgelegt werden und von der politischen Konkurrenz vermutlich entsprechend ausgeschlachtet werden. Wäre es doch das Eingeständnis, dass mit Scholz kein Wahlsieg mehr zu machen sei. Es käme der Demontage des amtierenden Bundeskanzlers gleich. Eine gesichtswahrende Lösung für Scholz? Schwierig.
Nun ist es ja auch nicht so, dass Alternativkandidat Pistorius nur Anhänger hätte in der SPD. Sein kompromissloser Kurs in der Ukraine-Politik, die Waffenlieferungen, die Forderung nach mehr Geld und Kriegstüchtigkeit der Bundeswehr - vor allem in den ostdeutschen Bundesländern und beim linken Flügel der SPD-Fraktion kommt das weniger gut an.
Wie war das 2021?
Die SPD erinnert sich gern an 2021. Der überraschende Wahlsieg beruhte auch auf dieser SPD-untypischen Geschlossenheit. Die Kür von Scholz zum Kanzlerkandidaten war ein Coup der Parteiführung, der Wahlkampf - erfolgreich gemanagt von Lars Klingbeil - aus einem Guss. Die Union machte es der SPD zusätzlich leicht. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet kämpfte mehr gegen Querschüsse aus Bayern als gegen die politische Konkurrenz, und dann kamen auch noch eigene Fehler und medial aufgebauschte unglückliche Auftritte hinzu. Auch die Performance der Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock blieb hinter den Erwartungen zurück. Die Scholz-SPD eroberte tatsächlich das Kanzleramt, obwohl die Umfragen vorab mau waren.
Daher appellieren auch jetzt wieder die SPD-Oberen an die Geschlossenheit und wollen sich von den derzeitigen schlechten Umfragewerten nicht aus dem Konzept bringen lassen. Und das Konzept heißt Scholz.
Wie geht es jetzt weiter?
Eine Kanzlerkandidatendebatte ist so ziemlich das letzte, was die SPD in der jetzigen Situation brauchen kann. Dennoch wollte und konnte die Parteiführung sie auch nicht einfach "tottreten", wie Klingbeil es ausdrückte. Also ließ man sie ein paar Tage laufen. In der Hoffnung, sie wieder einfangen zu können. Nun sieht man offenbar den Zeitpunkt gekommen, Klarheit zu schaffen. Union und Grüne haben ihre Kandidaten bereits gekürt.
Klingbeil kündigte für die nächsten Tage einen Fahrplan bis zur Bundestagswahl an - inklusive Scholz-Nominierung. Die endgültige Entscheidung über die Kandidatur von Scholz soll auf dem Bundesparteitag am 11. Januar fallen, vorher solle es Beschlüsse in Vorstand und Präsidium geben. Für den 30. November plant die SPD in Berlin eine "Wahlsiegkonferenz", auf der der Kanzlerkandidat seinen ersten großen Auftritt haben soll. Aller Voraussicht nach wird das Olaf Scholz sein.