Digitalstrategie der Bundesregierung Auf der Suche nach dem "digitalen Aufbruch"
Volker Wissing will Deutschland digitaler machen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Aber was ist daran eigentlich so schwer?
Bekanntermaßen ist Volker Wissing kein Fan von Flugtaxis und ähnlichen Objekten, die in der vergangenen Legislatur die digitalen Visionen oder vielmehr Fantasien von Dorothee Bär und Andreas Scheuer beflügelten und zu wenig in der digitalen deutschen Realität führten. Der liberale Digitalminister, der auch Verkehrsminister ist, gibt sich bodenständig, spricht heute im Bundestag lieber von einem "Kursbuch" - so sieht er die mit Verspätung verabschiedete Digitalstrategie der Bundesregierung.
Das darf ein bisschen beunruhigen. Denn ein Kursbuch ist eigentlich eine Fahrplansammlung aus dem Bahnbereich. Und da läuft es bekanntermaßen nicht gut: Besserung zwar in Planung, aber nicht zeitnah in Sicht.
Im Digitalen soll es anders gehen und sehr bald Fortschritte geben. Wissing will den "digitalen Aufbruch". Die Digitalstrategie soll den Weg weisen - in die Top 10 des "Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft". Die EU-Kommission erfasst damit den digitalen Fortschritt der Mitgliedsländer. Deutschland dümpelt auf einem peinlichen 13. Platz herum.
Vieles bleibt im Ungefähren
Es hat also zumindest Signalwirkung, dass die Debatte zur Digitalstrategie nicht irgendwann nachts angesetzt ist, sondern prominent zum Auftakt des Parlamentstages. Die Strategie sei "ein Sammelsurium" wird dem Minister von der Opposition erneut vorgeworfen. Und ganz falsch ist das nicht. Zwar hat sich vom ersten Entwurf im Juli bis zur Endfassung einiges konkretisiert, aber vieles bleibt doch im Ungefähren und Absichtsvollen.
Man wolle erreichen, "dass mindestens 80 Prozent der gesetzlich Versicherten die elektronische Patientenakte nutzen", erklärt Wissing etwa im Bundestag. Das klingt erstmal gut - nur sind die Vorgaben der Digitalstrategie dünner als die Worte des Ministers. So heißt es im Text, dass "mindestens 80 Prozent der GKV-Versicherten über eine elektronische Patientenakte verfügen" sollen. Sprich: Die tatsächliche Nutzung ist erstmal nur eine Hoffnung mit vielen Fragezeichen, die unter anderem an Aufklärung, Nutzerfreundlichkeit und IT- Sicherheit hängen.
Auch beim Glasfaserausbau sind Zweifel angebracht. "Bis 2025 sollen mindestens die Hälfte aller Anschlüsse mit Glasfaser versorgt sein", verspricht Wissing. Doch anders als seine Rede und die Digitalstrategie suggerieren, ist eben nicht angepeilt, dass bis 2025 wirklich die Hälfte aller Haushalte und Unternehmen schnelles Internet haben. Das hat kürzlich eine Recherche des "Tagesspiegel" gezeigt.
Um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, reicht demnach laut Digitalministerium auch, wenn Glasfaserkabel lediglich in der Straße verlegt sind und sich theoretisch Häuser anschließen ließen. In der Praxis bedeutet das nicht unbedingt mehr Anschlüsse, weil zum Beispiel Mieter und Mieterinnen gar nicht mitreden dürfen, ob ihr Haus tatsächlich ans Hochleistungsnetz kommt.
Wenig Neues beim Thema digitale Verwaltung
Gleich zwei der anderen Redner im Parlament beschwören, wie üblich, das schnelle Internet an jeder Milchkanne. Zumindest diese Kuh treibt der Digitalminister nicht durchs Dorf. Er will stattdessen "Homeoffice, Streaming im ICE und Empfang auf der Berghütte (…) endlich auch in Deutschland problemlos" hinkriegen - bis 2026. Ein Zielpunkt, der allerdings nach der nächsten Wahl liegt.
Den digitalen Personalausweis inklusive Onlinebeantragung verspricht Wissing zumindest mal bis 2025. Viel sagt er ansonsten nicht zum Thema Verwaltungsdigitalisierung, vermutlich auch weil sich da aktuell nichts gewinnen lässt. Denn eigentlich sollten Behördengänge schon bis Ende 2022 größtenteils übers Netz machbar sein. Doch gerade erst musste das zuständige Innenministerium zugegeben, dass das wohl nicht mal für als besonders wichtig definierte Leistungen klappen wird.
Komplizierte Zuständigkeiten
Deutschland hinkt digital hinterher. Das hat auch mit den Versäumnissen vergangener Regierungen zu tun. Die Union, nun Oppositionsführerin, will das natürlich nicht hören. Sie kritisiert im Bundestag lieber die fehlenden Ambitionen der Ampel. Wissing lässt sich den Zeigefinger zurück verständlicherweise nicht nehmen. Nur wird ihm das wenig nützen. Mit Schuldzuweisungen in Richtung Vergangenheit lässt sich nun mal schlecht Politik machen. Im Fokus steht der, der aktuell mitregiert.
Wobei auch das eine komplizierte Angelegenheit ist - die digitalen Verantwortlichkeiten liegen nämlich nicht größtenteils in Wissings Hand, selbst wenn sein Titel als Digitalminister das suggeriert. Wirtschafts-, Finanz-, Innenministerium und auch das Kanzleramt reden mit, sind für wichtige Teile der Digitalisierung Deutschlands zuständig.
Mehr Vision wäre schön
Bezeichnend ist deshalb, wovon Wissing nicht spricht: das Digitalbudget. Einst leuchtender Schriftzug im Koalitionsvertrag der Ampel, nun nicht mal eine kurze Erwähnung. Auf den 52 Seiten der Digitalstrategie wird das Budget gerade ein einziges Mal angesprochen - und auch nur in schwammigen Worten.
In Krisenzeiten sind Extragelder natürlich keine einfache Sache und Wissing hat schon öfters klar gemacht, dass die verschiedenen Digitalvorhaben grundsätzlich erstmal aus den Budgets der jeweiligen Ressorts gestemmt werden sollen. Da viele Vorhaben - von Patientenakte bis Verwaltungsmodernisierung - eben keine neuen Projekte sind, ist das teilweise nachvollziehbar, als Zeichen für eine Zeitenwende auch im Digitalen allerdings unglücklich.
Und nicht nur das. Auch die große Frage, was Digitalisierung eigentlich jenseits von schnellem Netz, Geschäftsmodellen und Bürokratiealltag gesellschafts- und sozialpolitisch leisten soll, wurde heute kaum angesprochen. Man muss ja nicht gleich die Entwicklung von Flugtaxis bezahlen wollen, aber ein bisschen mehr Vision wäre dann vielleicht doch ganz schön.