Forensische Ermittler am Bahnhof Brokstedt
FAQ

Angriff in Brokstedt Was über die Messerattacke bekannt ist

Stand: 27.01.2023 02:43 Uhr

Die Messerattacke in einem Regionalzug in Schleswig-Holstein mit zwei Toten und mehreren Verletzten hat bundesweit Entsetzen ausgelöst. Vieles ist noch unklar, die Ermittlungen laufen. Ein Überblick.

Was ist passiert?

Die Tat ereignete sich nach Angaben der Bundespolizei am Mittwoch kurz vor 15 Uhr unmittelbar vor der Ankunft des Regionalzuges im Bahnhof Brokstedt im Kreis Steinburg. Noch im fahrenden Zug wurden Fahrgäste von einem Mann mit einer Stichwaffe angegriffen. Über den Notruf gingen mehrere Anrufe ein. Im Regionalzug RE70, der von Kiel nach Hamburg fuhr, saßen etwa 120 Menschen.

Zwei Menschen wurden getötet, fünf weitere verletzt. Nach Angaben der Polizei Itzehoe gelang es Zeugen unmittelbar nach der Tat, den Verdächtigen zu stoppen, bis die Einsatzkräfte am Bahnhof in Brokstedt eintrafen. Der Angreifer selbst wurde mittelschwer verletzt, vorübergehend in einem Krankenhaus versorgt und anschließend zunächst in Polizeigewahrsam genommen.

Was ist bisher über den Tatverdächtigen bekannt?

Der Mann ist laut Polizei ein staatenloser Palästinenser ohne festen Wohnsitz. Nach Angaben der Ermittler saß er bis vor einer Woche wegen eines Körperverletzungsdelikts in einer Hamburger Justizvollzugsanstalt. Er soll zuvor mehrere Gewalttaten begangen haben. Laut Staatsanwaltschaft Itzehoe ist der 33-Jährige ein mehrfach in Erscheinung getretener Straftäter, aber kein Intensivtäter. Auffällig geworden war er in Nordrhein-Westfalen und Hamburg; in Schleswig-Holstein gab es den Ermittlern zufolge keine Verfahren gegen den Verdächtigen.

Nach Angaben der schleswig-holsteinischen Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) ist er Ende 2014 erstmals nach Deutschland eingereist - aus welchem Land, konnten die Ermittler bislang nicht sagen. Ihm sei 2017 ein sogenannter subsidiärer Schutz gewährt worden. Im November 2021 sei ein Verfahren auf Rücknahme dieses Schutzes eingeleitet worden. Wie das Verfahren ausging, ist bislang nicht bekannt.

Der Verdächtige sei noch kurz vor der Tat am Mittwoch in der Kieler Ausländerbehörde gewesen. Er habe eine Aufenthaltskarte beantragt, sagte Sütterlin-Waack. Von dort sei er zum Einwohnermeldeamt geschickt worden.

Der "Spiegel" berichtete am Abend, dass der mutmaßliche Täter offenbar vorerst nicht aussagen will. Das Blatt beruft sich dabei auf den Rechtsanwalt Björn Seelbach, der den staatenlosen Palästinenser nach eigener Auskunft vertritt. Der 33-Jährige mache von seinem Schweigerecht Gebrauch, sagte Seelbach. Er zeigte sich zugleich überrascht, dass sein Mandant wenige Tage vor der Tat auf freien Fuß gekommen war. Es wäre "besser gewesen, man hätte ihn auf die Entlassung vorbereiten können", sagte Seelbach dem "Spiegel". Da der mutmaßliche Angreifer vor seiner Inhaftierung in Hamburg obdachlos gewesen sei, "stand er jetzt auf der Straße".

Sein Mandant habe keine Familienangehörigen in Deutschland. Dem Anwalt zufolge kam der staatenlose Palästinenser aus dem Gazastreifen. Seine Familie sei von der radikalen Palästinenserorganisation Hamas drangsaliert worden. "Das war der Grund für seine Flucht."

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tagesthemen, tagesthemen, 26.01.2023 22:15 Uhr

Was könnte das Motiv sein?

Laut Staatsanwaltschaft gibt es für die Tat keinen terroristischen Hintergrund. "Aufgrund des sehr dynamischen Tatverlaufs ist immer noch sehr viel unklar", sagte Landesinnenministerin Sütterlin-Waack. So sei auch die Motivlage des Tatverdächtigen nach wie vor unklar. "Ergebnisse einer Vernehmung gibt es noch nicht, sodass wir über Motive nichts sagen können."

Bisher seien 24 Zeugen befragt und zahlreiche Gepäckstücke sichergestellt worden, zudem liefen die Ermittlungen der Spurensuche, sagte der Leiter der Polizeidirektion Itzehoe, Frank Matthiesen, bei der Pressekonferenz in Kiel.

Welche weiteren Hinweise gab es für die Behörden?

Wenige Tage vor der Messerattacke war der Mann psychiatrisch beurteilt worden - ohne dass dabei besondere Auffälligkeiten festgestellt wurden. Schon im Rahmen seiner knapp einjährigen Untersuchungshaft wegen eines Gewaltdelikts sei er in der Hamburger Justizvollzugsanstalt Billwerder psychiatrisch betreut worden, teilte die Hamburger Justizbehörde mit. Grund für die Betreuung seien Tätlichkeiten gewesen, in die er zwei Mal während der Haft verwickelt gewesen sei.

"Ein Psychiater hat kurz vor der Entlassung keine Fremd- und Selbstgefährdung festgestellt", sagte eine Behördensprecherin. Deshalb habe es auch keine belastbaren Anhaltspunkte dafür gegeben, eine rechtliche Betreuung zu beantragen oder den Sozialpsychiatrischen Dienst einzuschalten. "Anders als bei der Außervollzugsetzung eines Haftbefehls bestehen bei der Aufhebung eines solchen keine Möglichkeiten, Auflagen oder Weisungen zu erteilen."

Das Landgericht Hamburg hatte den Haftbefehl gegen den 33 Jahre alten staatenlosen Palästinenser den Angaben zufolge am Donnerstag vergangener Woche aufgehoben, da eine gegen ihn verhängte, aber noch nicht rechtskräftige Freiheitsstrafe durch die Untersuchungshaft bereits fast vollständig verbüßt war.

Was über den mutmaßlichen Täter der Messerattacke in Schleswig-Holstein bekannt ist

Tobias Gellert, NDR, tagesthemen, tagesthemen, 26.01.2023 22:15 Uhr

Wo befindet sich der mutmaßliche Täter?

Gegen den Tatverdächtigen ist wegen zweifachen heimtückischen Mordes und vierfachen versuchten Totschlags inzwischen Haftbefehl ergangen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen. Das teilte ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft Itzehoe mit.

Was ist über die Opfer bekannt?

Bei den beiden Todesopfern handelt es sich um eine 17-jährige Jugendliche und einen 19-jährigen Mann. Beide Opfer kannten sich und stammten aus Schleswig-Holstein, erklärte die Polizeidirektion Itzehoe.

Zwei Menschen erlitten lebensgefährliche Verletzungen. Sie befänden sich ebenso wie ein drittes verletztes Opfer weiter im Krankenhaus, sagte Innenministerin Sütterlin-Waack in Kiel. Zwei weitere Verletzte seien bereits wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Ministerin korrigierte die Zahl der Verletzten von sieben auf fünf.

Wie sind die politischen Reaktionen?

"Wir werden das alles aufklären", versprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bei einem Besuch in Brokstedt. Gemeinsam mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Schleswig-Holsteins Innenministerin Sütterlin-Waack (CDU) sprach Faeser vor Ort mit Einsatzkräften.

Faeser stellte den Umgang der Behörden mit dem zuvor bereits straffällig gewordenen Verdächtigen infrage. Die Frage "Wie konnte es sein, dass ein solcher Täter noch hier im Land war", müsse aufgeklärt werden, sagte sie. "Wie konnte das passieren, dass er trotz so vieler Vorstrafen nicht länger in einer Justizvollzugsanstalt war? Wie konnte es passieren, dass er so früh aus der Untersuchungshaft wieder entlassen wurde?"

Nancy Faeser

Bundesinnenministerin Faeser: "Wie konnte es passieren, dass er so früh aus der Untersuchungshaft wieder entlassen wurde?"

Der 33-jährige Angreifer war erst vor wenigen Tagen auf Beschluss des Landgerichts Hamburg aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden, wo er wegen eines Gewaltdelikts in Untersuchungshaft saß. Als Kritik an der Entscheidung des Hamburger Gerichts wollte Faeser ihre Äußerungen nicht verstanden wissen. "Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen". Es gehe darum, "dass wir aufarbeiten müssen, wo sind Fehler passiert."

Deutschland habe nicht zuletzt aufgrund der eigenen "dunklen Geschichte" eine "humanitäre Verpflichtung, auch Geflüchtete aufzunehmen", sagte sie. "Wir müssen dem nachgehen, warum Menschen, die so gewalttätig sind, noch hier in Deutschland sind."

Auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther erklärte, dass der Austausch zwischen den beteiligten Behörden auf den Prüfstand gestellt werden müsse, "um zu überprüfen, ob die Tat hätte verhindert werden können".

Wie gehen die Ermittlungen weiter?

Die Itzehoer Mordkommission ermittelt mit der Staatsanwaltschaft Itzehoe. Es würden weiter Zeugen befragt, zudem sei die Spurensicherung noch im Einsatz, so die Polizei. 

In dem Zug, in dem sich die Tat ereignete, gab es keine Videoüberwachung. Die Ermittler bitten Zuginsassen, die noch nicht mit der Polizei gesprochen haben, sich unter der Telefonnummer (04861) 602 20 02 zu melden. Außerdem hat die Mordkommission Itzehoe ein Hinweisportal für das anonyme Hochladen von Video-, Foto- und sonstigen Dateien über den Link sh.hinweisportal.de freigeschaltet.

tagesschau live: Pressekonferenz zu Messerattacke in Regionalzug

tagesschau24

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 26. Januar 2023 um 14:58 Uhr.