BGH zu "Raserfall" Mord oder fahrlässige Tötung?
Ein Unbeteiligter starb bei einem illegalen Autorennen im Februar 2016. Die beiden Raser wurden vom Landgericht Berlin wegen Mordes verurteilt. Zum zweiten Mal hat der Bundesgerichtshof nun über den spektakulären Fall entschieden.
Was wurde den Angeklagten im Berliner "Raserfall" vorgeworfen?
Sie sollen sich spontan zu einem Wettrennen angestachelt haben. In der Nacht vom 31. Januar auf den 01. Februar 2016 mitten in Berlin. Einige rote Ampeln sollen die damals 24 und 26 Jahre alten Fahrer einfach überfahren haben - mit bis zu 170 km/h.
An einer Kreuzung rammte einer der Angeklagten mit seinem Wagen einen Rentner, der mit seinem Jeep bei Grün gefahren war. Der Geländewagen wurde über 70 Meter weit über die Straße geschleudert. Der 69-jährige Fahrer starb noch am Unfallort. Eine Beifahrerin der Raser wurde verletzt.
Verhalten als Mord oder als fahrlässige Tötung zu bewerten?
Das war die entscheidende Frage, über die seit Jahren diskutiert und gestritten wurde. Das Verhalten der Raser war hochgefährlich. Und dieses gefährliche Verhalten führte zum Tod eines Menschen geführt. Außerdem war der Tod vorhersehbar, die Angeklagten konnten und mussten also damit rechnen, dass durch ein solches Autorennen mitten in der Stadt ein Mensch zu Tode kommen konnte.
Handeln Menschen trotzdem so, weil sie glauben, es wird schon irgendwie gut gehen, werden sie wegen einer fahrlässigen Tötung verurteilt. Für eine Verurteilung wegen Totschlags oder gar Mordes muss noch der Vorsatz hinzukommen. Man muss den Tod also darüber hinaus zumindest billigend in Kauf nehmen. Und für den Mord braucht es dann noch ein so genanntes Mordmerkmal.
Wann nimmt man den Tod eines anderen Menschen "billigend in Kauf"?
Immer wieder hörte man im Zusammenhang mit den Berliner Rasern: "Wer mit 170 km/h durch eine Innenstadt fährt, dem muss doch klar sein, dass dabei jemand zu Tode kommen kann." Das stimmt. Genau dieser Satz wäre aber - wie dargestellt - allein nur die Begründung für eine fahrlässige Tötung und nicht für den Vorsatz.
Die Abgrenzung zwischen fahrlässiger und vorsätzlicher Tötung kann man vereinfacht so erklären: Denkt ein Raser bei der Tat: "Wenn ein Mensch ums Leben kommt, ist mir das egal", dann nimmt er den Tod billigend in Kauf. Denkt er hingegen: "Ich bin ein guter Fahrer. Es wird schon gut gehen", dann mag das grobe Selbstüberschätzung sein, aber dann fehlt der Vorsatz, jemanden zu töten. Dann würde "nur" eine fahrlässige Tötung vorliegen.
Wie kann man den Vorsatz feststellen?
Das ist sehr schwierig, denn die Richterinnen und Richter können nicht in die Köpfe der Angeklagten hineinschauen. Und nur in den seltensten Fällen werden diese im Gerichtssaal erklären, dass ihnen der Tod anderer egal war. Deshalb muss aus den Gesamtumständen der Tat ermittelt werden, ob die Täter Vorsatz hatten. Die Gefährlichkeit des Handelns spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Aber man muss sich auch alle Dinge anschauen, die gegen die Gleichgültigkeit der Angeklagten sprechen. Deshalb müssen Richterinnen und Richter zum Beispiel auch der Frage nachgehen, ob die Raser bei ihrer Handlung selbst hätten sterben können oder schwerwiegende Behinderungen hätten erleiden können. Das würde dann eher gegen den Vorsatz sprechen.
Wo liegt der Unterschied zwischen Mord und fahrlässiger Tötung?
Für die fahrlässige Tötung steht im Gesetz eine Höchststrafe von fünf Jahren. Der Mord muss zwingend mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet werden. Also immer dann, wenn das Gericht den Vorsatz bejaht und noch ein Mordmerkmal annimmt - wie Heimtücke oder den Mord mit einem gemeingefährlichen Mittel. Der Unterschied zwischen den Strafen ist also gravierend.
Wie haben die Gerichte im Berliner Fall in der Vergangenheit entschieden?
Im Februar 2017 hat das Landgericht Berlin die beiden Raser als Mittäter eines Mordes verurteilt. Es war das erste Mal in einem solchen Raserfall. Ein Jahr später hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf, weil es Rechtsfehler enthielt.
Unter anderem war der Vorsatz nicht richtig begründet. Die obersten Strafrichterinnen und -richter betonten aber: Raser könnten im Einzelfall auch als Mörder bestraft werden, wenn der Vorsatz bewiesen ist.
Eine andere Kammer des Landgerichts Berlin musste den Fall neu verhandeln. Im März 2019 stand das Urteil fest: Wieder Mord in Mittäterschaft. Und wieder gingen die Angeklagten in Revision. Im April wurde in Karlsruhe in zweiter Runde verhandelt und es deutete sich zumindest an: Auch das zweite Berliner Urteil könnte Rechtsfehler bei der Begründung von Vorsatz und Mittäterschaft enthalten. Sollte Karlsruhe das Urteil erneut aufheben, würde es eine dritte Runde in Berlin geben.
Wurden nicht inzwischen die Gesetze für Raser verschärft?
Doch. Illegale Autorennen haben sich in den letzten Jahren gehäuft. Und viele kritisierten die Höchststrafe von fünf Jahren bei Rennen mit tödlichem Ausgang. Lebenslange Strafen wiederum fanden viele ebenfalls nicht richtig. Deshalb wurde 2017 das Gesetz verschärft.
Nach der Neuregelung kann es allein für die Teilnahme an "verbotenen Kraftfahrzeugrennen" bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe geben. Kommt eine Person zu Tode, stehen bis zu zehn Jahre Haft im Raum. Also doppelt so viel wie bisher bei der "normalen" fahrlässigen Tötung. Das Gesetz schafft also aus der Sicht vieler eine Art Mittelweg. Für die Angeklagten in dem Berliner Fall gilt das allerdings nicht, weil immer das Gesetz gilt, das zum Zeitpunkt der Tat in Kraft war. Und da gab es den neuen Paragrafen noch nicht.